Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Kopf: Der 17. Januar, der Tag des Heiligen Antonius ... Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen ...
Da rief mich Bérenger plötzlich zu sich.
„Marie, komm bitte einmal zu mir. Ich muss dir etwas sagen.“
Erschrocken hielt ich in meiner Arbeit inne. War der Zeitpunkt schon gekommen, dass er mir reinen Wein einschenkte, oder besser gesagt, ein wohlvorbereitetes Lügengespinst auftischte? Keine Zeit mehr, um irgendwelche außergewöhnliche Maßnahmen ...
Ich war unter der Tür stehengeblieben. Seine Blicke tasteten mich ab. Er schien zu zögern, rieb sich ausgiebig das Kinn und setzte sich dann kerzengerade in den Stuhl. Kein gutes Zeichen.
„Marie“, fing er an, „komm näher. Lass dich betrachten. Du gefällst mir überhaupt nicht. Nein, ganz und gar nicht. Hast du dich schon einmal im Spiegel angesehen? Du bist leichenblass und hast dunkle Ringe unter deinen Augen. Auch Henriette macht sich Sorgen um dich. Und sogar die fromme Odile hat sich heute nach der Messe nach dir erkundigt. Ich will dir nun einen Vorschlag machen, und ich bitte dich, mir nicht gleich zu widersprechen oder mein Angebot voreilig abzulehnen.“
„Also, wenn du daran denkst, Dr. Guilleaume oder einen anderen Arzt zu holen, so muss ich dir sagen, dass ich ihn nicht sehen will! Basta.“
Mein alter Widerspruchsgeist war wohl schon so mit mir verwachsen, dass ich ihn einfach nicht loswurde.
„Marie, ich weiß, dass du alle Ärzte für Quacksalber hältst und lieber dein Näschen in deine Kräuter steckst. Früher hätte man dich ganz sicher als Hexe verbrannt.“ Bérenger lachte. „Nein, ich habe dir etwas anderes vorzuschlagen, etwas, das dir sicher gefallen wird.“
„Was mir gefallen wird?“
„Ja. Du hast dir doch schon immer gewünscht, das Meer zu sehen, stimmt`s?“ Eine winzig kleine Hoffnung regte sich in mir. Hatte sich Bérenger anders besonnen?
Ich nickte.
„Nun, ich weiß da von einer älteren Dame in Collioure, das ist ein wunderschöner, malerischer Fischerort mit einer alten, mächtigen Tempelritterburg. Also, diese Dame vermietet dort hübsche Zimmer mit voller Verpflegung. Fahr doch ein paar Wochen hin zu Madame Dufy, quartiere dich bei dir ein, ruh dich aus, mach Strandspaziergänge, lass dich treiben, komm auf andere Gedanken. Wenn du willst, so schreibe ich ihr noch heute. Sie soll nett und fürsorglich sein und ihre Gäste auf das Beste verwöhnen. Nun, was sagst du zu meinem Vorschlag?“
Ich zuckte ein wenig mit den Schultern, spielte die noch Unentschlossene, Zögernde.
„Denk darüber nach, Marie. Wenn du dich heute noch nicht entscheiden kannst, so gib mir deinen Entschluss am Ende der Woche bekannt. Am besten ist es, du fährst gleich nach den Feiertagen. Bleib einige Wochen dort, und erhole dich gründlich. Ich meine es nur gut mit dir, Marie!“
Ich nickte wieder und dachte dabei: Bérenger, du bist ein falscher, feiger Hund! Sapristi! So also hast du es dir vorgestellt! Die kleine Marie küsst dir zum Abschied dankbar die Hand, und wenn sie mit dem Gig endlich um die Ecke gebogen ist, fängst du mit derselben Hand an, deine Koffer für Buenos Ayres zu packen! Ich war geradezu sprachlos ob seiner bodenlosen Dreistigkeit. Und dann, im Januar ans Meer?
„Ach, Bérenger“, antwortete ich müde, „wenn auch du dorthin fahren wolltest, so wäre diese Idee schon des Überlegens wert, aber allein – nein danke!“
„Du weißt, dass ich nicht gemeinsam mit dir irgendwohin fahren kann“, sagte er streng. „Dieses Thema haben wir doch längst ad acta gelegt, oder etwa nicht? Warum fängst du immer wieder davon an?“
„Bérenger“, insistierte ich mit all meiner Kraft. „Wir könnten getrennt reisen und uns später, meinetwegen in diesem Collioure, treffen! Wir müssten auch nicht im selben Haus wohnen, wenn dir das peinlich wäre. Du beziehst Räume im Hotel, und ich miete mich bei dieser Dufy ein. Jeden Morgen würden wir zusammen Spazierengehen, wäre das nicht herrlich? Sicher würde es auch dir guttun, einmal hier herauszukommen!“
„Ich sehe schon, du bist noch immer uneinsichtig“, brummte er. „Überleg dir in Ruhe noch einmal meinen Vorschlag. Übrigens wäre ein gemeinsamer Kuraufenthalt schon deswegen nicht möglich, weil ich beabsichtige, im Januar eine längere Reise nach Paris zu unternehmen. Ich hoffe sehr, dass die Zugverbindung nicht wieder wegen der Kriegsturbulenzen unterbrochen ist.“
„Und was gedenkst du in Paris zu tun, jetzt
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