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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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Petroleumlampe, einem gut hundert Meter langen Seil, Kerzen und Streichhölzern vorsichtig in die Krypta hinab. Bérengers Aufmerksamkeit galt sofort dem mittleren Steinsarkophag, an dem sich in der Vergangenheit offensichtlich jemand zu schaffen gemacht hatte. Während ich ihm leuchtete, entfernte er die Reste des Holzsarges, die Gebeine, das ominöse Seil sowie eine Schicht zerschlissener und teilweise angeschimmelter Stofffetzen. Am Ende lag der blanke Sargboden vor uns. Ein ziemlich morsches Eichenbrett – ungefähr 50 mal 60 Zentimeter – war säuberlich in den Boden eingepasst.
    „Habe ich es doch geahnt“, murmelte Bérenger.
    „Was meinst du?“
    „Du wirst gleich sehen“, flüsterte er, „was seit gestern nacht in meinem Kopf herumspukt.“
    Rasch entfernte er das Brett. Dann, im Schein der Petroleumlampe, sahen wir es: Unter dem Sargboden tat sich ein finsteres Loch auf, das offenbar direkt in den Berg hinunterführte, ins Ungewisse.
    Bérengers triumphierendes Gesicht sprach Bände.
    „Irgendwer, die Merowinger, die Katharer oder sonst jemand hat hier einen Geheimgang angelegt oder auch einen Fluchtweg, der weiß Gott wo endet oder auch nicht endet, weil er vielleicht niemals vollendet worden ist. Ich habe vermutet, dass der Lederbeutel von dort unten heraufgezogen wurde.“
    Bérenger leuchtete erneut in das Loch und grinste dabei vielsagend.
    „Marie, ich werde jetzt dort hinuntersteigen“, sagte er, so als ob er sich auf den Weg zu einem Krankenbesuch machen würde.
    Ich erschrak. „Es ist viel zu gefährlich, Bérenger!“
    Doch er lachte nur und fuhr fort, das neue Seil abzuwickeln. Nun bekam ich wirklich Angst um ihn. Ich änderte meine Taktik, jammerte und flehte: „Lass mich doch hier nicht im Ungewissen zurück! Was soll ich machen, wenn dir etwas geschieht?“
    Aber Bérenger ließ sich von mir nicht aufhalten.
    „Marie, beruhige dich. Vermutlich gibt es irgendwo da unten einen Ausgang. Fluchtwege hat man angelegt, um sich vor Gefahr in Sicherheit zu bringen, nicht um sich umzubringen.“
    „Gerade noch hast du von der Möglichkeit gesprochen, dass der Geheimweg nicht vollendet sein könnte ...“, warf ich ein.
    „Papperlapapp“, sagte er nur, viel zu erregt, um lange mit mir zu disputieren.
    Nachdem er sich das eine Seilende doppelt um den Leib geschlungen hatte und das andere um einen der schweren, steinernen Sarkophage, der selbst dann kein Jota nachgegeben hätte, wenn zehn Priester von seiner Statur bei einem Absturz darangehangen hätten, steckte er sich die Kerzen und Zündhölzer in seine Jacke. Dann nahm er den Pickel in die Hand und kletterte entschlossen in den Sarkophag. Ich hielt den Atem an.
    „Marie“, dröhnte es dumpf herauf, als fast nur noch seine Haarspitzen zu sehen waren, „warte nicht auf mich, und mach dir auch keine Sorgen, wenn ich heute nacht nicht nach Hause komme. Wenn du irgendwann feststellst, dass sich das Seil nicht mehr bewegt, dann steig wieder nach oben und geh schlafen. Und – Marie, noch etwas ganz Wichtiges! Schick noch vor dem Morgengrauen Antoine mit einer Besorgung ins Tal, damit er nicht hier hereinplatzt. Sollte ich bis zur Mittagszeit noch immer nicht zurück sein, dann schließ die Kirchentür zu, lauf zu Boudet hinunter und bitte ihn, einige starke Männer und weitere lange Seile mitzubringen. Erzähle denen aber um Gottes willen nichts von all dem, was wir gestern gefunden haben! Komme ich ums Leben - was wir nicht hoffen wollen“ - seine Stimme wurde bereits leiser -, „so nimm den Schatz in deine Obhut. Fahr nach Paris und genieße dein Leben. Du hast es dir verdient, meine Kleine.“
    Bérenger hatte wirklich Nerven. Mir steckte ein Kloß im Hals. Mit der linken Hand klammerte ich mich am Sarkophag fest, um mich, soweit es ging, zu ihm hinunterzubeugen. Im Schein der Lampe sah ich noch einmal seine Augen aufblitzen, dann war er verschwunden.
    Eine halbe Ewigkeit beobachtete ich, wie sich das Seil bewegte. Manchmal hörte ich etwas poltern. Doch plötzlich, nach einem kurzen Ruck, war alles ruhig.
    Ich rief seinen Namen. Nichts.
    Absolute Stille.
    Das Loch schien wie das Tor zur Hölle. War Bérenger der Mann, den Teufel zu bezwingen? Die Finsternis weicht, wenn sie ans Licht kommt! hatte er noch vor einer Woche von der Kanzel herabgerufen.
    Die eitle Finsternis jedoch macht bisweilen auch Priester zu Narren.

    Schon als Kind war Bérenger ein rechter Draufgänger gewesen, hat mir sein Bruder Alfred, der einzige von seinen

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