Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Hose in Fetzen, das Knie aufgeschrammt, aber mit leuchtenden Augen, erwartete mich eine Sensation! Es war nicht die größte in meinem Leben, aber sie war so beschaffen, dass sie mich für einige Zeit völlig aus der Fassung brachte.
Bérenger zog einen brüchigen Sack hinter sich her, offenbar aus Leder. Ein splissiges Seil hielt ihn gerade noch zusammen. Vorsichtig entfernten wir den Strick.
Der Sack fiel auseinander. Es klirrte leise.
Heilige Maria, Mutter Gottes! Solch herrliche Sachen hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen, und ganz sicher gibt es keinen Menschen im weiten Umkreis, der Vergleichbares jemals in den Händen hielt. Im milden Schein der Altarkerze funkelten goldene Schüsseln, dazwischen lagen kunstvoll verzierte Spangen und Fibeln, Kerzenleuchter, Gliederketten, Armbänder. Ovale und runde Perlen sowie Edelsteine in allen erdenklichen Farben und Größen kullerten heraus, als Bérenger eine mächtige Krone aus dem Sack zog, die ebenfalls mit Edelsteinen besetzt war. Smaragde und Rubine, wie mir Bérenger erklärte, als er wieder in der Lage war zu sprechen. Schließlich kamen noch seltsame Goldbarren und Goldmünzen zum Vorschein.
Gold!
„Wo hast du das gefunden?“ hauchte ich nach einigen Minuten, fast atemlos und bereits behängt und bekrönt.
Bérenger keuchte schwer. Zu lange hatte er, wie ich selbst, den Atem angehalten vor Überraschung. „Zuerst bin ich über etwas gestolpert, das sich als einer der steinernen Sarkophagdeckel herausstellte, der irgendwann von einem der Särge abgenommen worden war. Als ich mich näher umsah, entdeckte ich, dass der mittlere Sarkophag offen stand. Darinnen befanden sich Reste eines halb zerfallenen hölzernen Sarges, die Gebeine eines Menschen und ein langes Seil.“
Ich konnte es noch immer nicht fassen. Die Gedanken flogen nur so in meinem Kopf herum. Obwohl ich es dringend wissen wollte, hörte ich kaum, wie Bérenger erzählte, dass der Ledersack direkt vor dem mittleren, dem offenen Sarkophag gestanden hätte.
„Stutzig macht mich noch immer das Seil, das ich dort fand“, sagte er nachdenklich und strich sich über sein Kinn. „Ziemlich lang, ja – und längst nicht so alt, wie es eigentlich sein müsste.“
„Wozu hat man es gebraucht?“
„Ich habe einen Verdacht. Ich werde es herausfinden. Wir müssen unbedingt morgen nacht wiederkommen, mit einer ordentlichen Lampe diesmal, einem starken Seil und einer Leiter zum Hinuntersteigen. Dann kannst auch du dir alles ansehen, Marie!“
Bei aller Überraschung schien Bérenger schon kurze Zeit später fast unbeeindruckt zu sein von dem herrlichen Schatz, den er gefunden hatte. Mit zusammengezogenen Brauen suchte er dagegen gewissenhaft den Boden ab, damit ja keine Perle versehentlich im Gotteshaus liegenblieb. Ein wenig war ich enttäuscht, dass er meine Begeisterung offenbar nur halbherzig teilte, während meine Blicke magisch angezogen wurden von all den Schätzen, die er nun wieder in den Sack packte, um sie ins Pfarrhaus mitzunehmen.
Gemeinsam schoben wir die Ritterplatte zurück an Ort und Stelle und räumten den Schutt beiseite, damit Antoine am Morgen nicht misstrauisch wurde.
In der Nacht tat ich lange kein Auge zu. Als ich im Morgengrauen erwachte und sogleich wieder an den Schatz dachte, fühlte ich ein inwendiges Kribbeln. Ich kuschelte mich noch einmal in meine Decke und dachte an das, was sich mit dem Gold einstellen könnte: an Wohlstand, Reisen, Unabhängigkeit von jedermann. Ich sah windgepeitschte Palmen vor mir, das Meer, wie es blaugrün an unbekannte Gestaden brandet; Bérenger an meiner Seite. Mein Geist entwarf, malte, zeichnete ohne Unterlass Dinge, die ich kaum im Leben gesehen, aber offenbar immer heiß ersehnt hatte. Am Ende meinte ich gar, den fernen Ozean riechen zu können. Doch es handelte sich nur um den zarten Duft des Lavendels, der den blau-weiß-karierten Bettüchern entströmte.
Wagt es jemand, mir Maßlosigkeit vorzuwerfen, wo ich doch das meiste nur in meinem Kopf auslebte?
Glück ist wie der Wind.
12
„Die Nacht hat ihre Barken schon zur Fahrt gerüstet ...“
Léon-Paul Fargue , Postface
In der nächsten Nacht stellte sich heraus, dass unsere Schatzsuche ein weit größeres Ausmaß hatte, als wir es uns in unseren kühnsten Träumen hätten vorstellen können. Den ganzen Vormittag hatten wir damit verbracht, die Schätze im Keller des Pfarrhauses zu verstecken. Und nun stiegen wir beide, ausgerüstet mit einer Leiter, einer
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