Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
noch tagelang der Kiefer, weil ich so fest zugebissen hatte auf das Holz.
Nie mehr, dachte ich nach der schrecklichen Prozedur, als dicke Klumpen Blut im Eimer lagen, nie mehr im Leben wollte ich mit dem „Ding“ eines Mannes zu tun haben. Ich schwor mit meinen zwölf Jahren, dass ich lieber ins Kloster gehen würde als zu heiraten.
Am nächsten Tag fing ich an, mir unablässig die Hände mit Kernseife zu waschen, und als am ersten Schultag nach den Ferien, der alte Lasalle, gutgelaunt einmal mehr seinen allen längst bekannten Spruch zum besten gab: Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heiße Stangen ..., saß ich in meiner Bank und weinte bitterlich.
15
„Nichts bleibt dem Menschen je erhalten.
Seine Kraft nicht, nicht seine Schwäche, nicht sein Herz ...“
Louis Aragon , Il n`y a pas d`amour heureux
Aus der Tiefe hatte Bérenger einen wundervollen goldenen Kelch mitgebracht, mit Rubinen und Smaragden verziert. Nachdem er ihn vorsichtig aus seiner Joppe gewickelt hatte, putzte und polierte er ihn eine ganze Stunde lang. Als der Kelch endlich funkelnd und gleißend vor uns stand, nannte er ihn stolz „den Gral“.
Lange und voller Andacht betrachteten wir ihn. Boudet konnte endlich zufrieden sein, dachte ich bei mir.
„Weißt du, Marie, dass man dem Gral sagenhafte Wunderkräfte nachsagt?“ flüsterte Bérenger.
„Woher weißt du, dass es der Gral ist?“ flüsterte ich zurück.
„Ich weiß es natürlich nicht, aber ich möchte es gerne wissen“, antwortete er, „denn der Gral gehört ebenso zu dem Flechtwerk von Sagen und Geschichten, das die Gegend von Rennes-le-Château durchzieht, wie unsere Burg selbst, die Kirche, die Merowinger und ein geheimnisvoller Ort, auf den wir erstmals in Paris aufmerksam wurden, den wir jedoch noch immer suchen.“
Ich hatte geglaubt, dass das Geheimnis der Pergamente mit dem Auffinden der wunderbaren Grotte - und vor allem des Grals - endgültig gelüftet wäre. Über einen weiteren geheimnisvollen Ort hatte ich bislang nichts in seinen Aufzeichnungen gelesen. Doch war Bérenger aus mir unerfindlichem Grund dazu übergegangen, ab und an Wörter auf Griechisch zu schreiben, so dass ich schon befürchtete, er könnte Verdacht geschöpft haben. Einmal hatte es tatsächlich geheißen: „Vorsicht, M. ist mehr als neugierig!“
(Weshalb schloss er dann das Buch nicht einfach in seinen Schreibtisch ein und hängte sich den Schlüssel um den Hals? Glaubte er es besser aufgehoben unter all den anderen Büchern? Oder hatte er Angst vor den ´Hutnadeln` einer gewissen Marie? Beim Heiligen Eligius – so weit, dass ich ein Schloss erbrach, wäre ich bestimmt nicht gegangen!)
„Hast du ihn denn heute nicht gefunden, diesen Ort?“
„Nein – ich denke nicht, dass er sich dort unten im Inneren des Berges befindet. Die verschlüsselten Pergamente, das Gemälde von Poussin - sie besagen anderes. Wir haben nur eine Teilantwort erhalten, wenngleich auch eine kostbare. Unser beider Geheimnis, Marie, ist die Grotte, sind die immensen Schätze, die sich dort befinden. Das andere jedoch scheint von noch gewaltigerer Dimension zu sein. Ich will zu diesem Zeitpunkt aber nicht darüber reden, selbst nicht zu dir. Wir müssen Geduld haben, ja, Geduld.“
Nun hätte ich mich beinahe doch verraten. Ich hatte gerade nach dem festgefrorenen Eremiten fragen wollen, als mir einfiel, dass ich von ihm ja gar nicht wissen durfte. Ich musste höllisch aufpassen, dass mir kein Fehler unterlief.
„Gut. Was jedoch hat es mit dem Gral auf sich?“ fragte ich statt dessen. „Was unterscheidet den Gral von anderen, mit ebenso prachtvollen Edelsteinen verzierten Gefäßen? Woher weiß man, dass er es ist, der das Blut Christi aufgefangen hat? Denn darum handelt es sich doch, oder nicht?“
„Die Suche nach dem Gral wurde bereits im frühen zwölften Jahrhundert aufgenommen. Ein jüdischer Dichter mit Namen Chrétien de Troyes, der ein berühmter Meister der höfischen Epik war, hat einen tapferen Helden namens Perceval nach ihm suchen lassen. Die Geschichte blieb jedoch unvollendet, aber seitdem war die Artuslegende mit dem Mythos vom Heiligen Gral verbunden.“
Bérenger lächelte. „Erzählungen, die den hochverehrten König Artus mitsamt seiner Tafelrunde zum Inhalt hatten, waren im hohen Mittelalter äußerst beliebt. Bei Caesarius von Heisterbach habe ich gelesen, dass einst Mönche bei der abendlichen Messe eingeschlafen seien und einige von ihnen sogar laut zu
Weitere Kostenlose Bücher