Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
stöhnen. Er stand auf und holte sich aus dem Arbeitszimmer sein zerfleddertes lateinisches Wörterbuch. Das Übersetzen war an sich kein großes Problem, doch die Seiten waren teilweise miteinander verklebt oder auch angefressen. Obendrein stanken sie erbärmlich. Zwischen die halbwegs „geretteten“ Seiten legte Bérenger weiße Papierblätter, um die Kostbarkeiten zu schützen. Ein paar Stunden später schien er ein bisschen zufriedener. „Kaum zu glauben. Schon wieder das Jahr 1244“, brummte er. „Ein Großmeister der Tempelritter spricht zu uns, Bertrand de Blanchefort. Er stammt von den Blancheforts ab, die unten in der Gruft liegen. Bigou war der Beichtvater der letzten Dame von Blanchefort. Das habe ich den Kirchenbüchern entnommen. Ich habe den Verdacht, dass Bigou von der Schlossherrin selbst, vielleicht auf dem Totenbett, von dem Schatz im Bergesinneren erfahren hat.“
„In welchem Jahr ist sie gestorben?“
„Das weiß ich nicht genau. Aber ich hole mir rasch das Kasualbuch aus dem 18. Jahrhundert aus der Sakristei und sehe nach.“
Als Bérenger wiederkam, die Nase bereits in dem alten, schwarzledernen Buch vergraben – es war wirklich eines derjenigen aus dem 18. Jahrhundert -, murmelte er vor sich hin: „Vielleicht muss ich wegen der ganzen Sache ein weiteres Mal nach Paris fahren!“
Letzteres war natürlich ganz und gar nicht in meinem Sinne. Ich seufzte verhalten.
„Da steht es, schwarz auf weiß“, Bérenger strahlte und deutete mit dem Zeigefinger auf einen kaum leserlichen Eintrag. „Freifrau Marie d`Hautpoul de Blanchefort, gebürtige Negri d`Ables – na, wenn das kein gutes Omen ist! Sie hat den gleichen Vornamen wie du, Marie ...“
Bérenger blätterte vor und zurück. „Ihr Mann, der letzte Blanchefort also, ist im Jahr 1762 gestorben. Sie selbst am 17. Januar 1781. Drei Töchter hat sie geboren, Elisabethe, Marie und Gabrielle. Es könnte durchaus sein“, sinnierte er, „dass es noch irgendwelche Nachkommen dieser Familie gibt.“
„Glaubst du, dass wir die Schätze diesen Nachkommen ausliefern müssen?“ fragte ich, als ich sah, dass er völlig abwesend zum Fenster hinüberblickte.
„Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Die Freifrau hatte keinen Sohn, nur drei Töchter ... 1781 zählten Töchter wenig, viel weniger als im Mittelalter, wo sie dem Gesetz nach erbberechtigt wie ihre Brüder waren, zumindest hier bei uns im Süden.
Also ...“, Bérenger legte das Buch zur Seite und lief dann wieder auf und ab, „stellen wir einmal folgende Hypothese auf: Bigou erfährt das alte Familiengeheimnis der Blancheforts, das irgendwie mit den Katharern zu tun hat. Er verspricht der Dame, es am Ende seines Lebens nur einer einzigen Person anzuvertrauen, die es entgegenzunehmen würdig wäre. Er weiß genau, wo der Schatz verborgen ist, und hat obendrein seltsame Dokumente in den Händen, die er aber nicht entziffern kann. Da überschlagen sich die Ereignisse. Frankreich wird durch starke Unruhen erschüttert. Die Revolution. Bigou versteckt vorsichtshalber die Katharerdokumente in seiner Kirche und entwirft ein eigenes, damit der Fundort des Schatzes nicht für alle Zeiten verlorengeht. Auch dieses Dokument versteckt er. Aus irgendeinem Grund wird es für ihn brenzlig in Rennes, er macht sich auf die Suche nach dem Schatz, zieht einen der Säcke herauf ... nimmt sich so viel Gold, wie er tragen kann, und flieht ...
stirbt ... Guter Gott! Ich muss mit Boudet darüber reden!“
Gleich nach der Abendmesse zündete Bérenger ausnahmsweise die von ihm ungeliebte Petroleumlampe an und machte sich erneut ans Übersetzen. Ganze Passagen schrieb er ab, nummerierte sie mit einem Kohlestift, legte manche Seiten zu seiner Rechten und andere wieder zu seiner Linken ab.
Kurz vor Mitternacht, ich wollte gerade schlafengehen, rieb er sich die übermüdeten Augen, stützte nachdenklich das Kinn in die Hand und sah mich an. „Der ruhmreiche König Artus hat dereinst seine Ritter ausgesandt, den Gral zu suchen. Habe ich dir einmal von der Insel Avalon erzählt, Marie, wo Artus und seine Königin Guenievre begraben liegen sollen? Von Avalon, wo sein wundersames Schwert Excalibur geschmiedet worden ist?“
Ich gähnte. „Nein, hast du nicht.“
„Egal. Aber es gibt Zufälle im Leben, da möchte man wirklich meinen, der Herrgott selbst ist es, der die Feder führt. Vor kurzem erst habe ich gelesen, dass Avalon schlicht und einfach ´Äpfel` bedeutet - oder auch mit
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