Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
...“
„Marie, halt sofort den Mund! Wenn du dich noch einmal so abfällig über José äußerst, bist du wirklich das letzte Mal mein Gast gewesen! José ist ein feiner Mann, er hat gute Manieren und ist ein liebevoller Gatte und Vater.“
„Es ist ja schon gut, verzeih“, sagte ich, „du hast es aber eben selbst herausgefordert. Ständig hackst du auf mich ein, weil ich angeblich noch immer Jungfrau bin.“
„Und – bist du es etwa nicht mehr?“
Ich nahm das verschnörkelte Porzellankännchen mit der Milch, schüttete viel zu viel davon in meine Kaffeetasse und fing an, auffällig langsam mit dem Löffel darin herumzurühren.
„Du schweigst? Sag bloß, es stimmt, was sich die Leute erzählen?“ flüsterte Louise atemlos. Ihre Augen glänzten voller Erwartung.
Im richtigen Augenblick sprang die Tür auf, und Louises beide Mädchen platzten herein. „Maman, dürfen wir zum Spielen ins Freie? Ja, bitte!“
Louise versuchte ein kleines Lächeln, was ihr jedoch misslang. „Sagt der Tante Marie erst einmal guten Tag!“ Die Kleinen strahlten mich an, knicksten und begrüßten mich höflich. Es waren wirklich zwei hübsche Kinder. Isabelle trug ihr dickes, fast schwarzes Haar zu Zöpfen geflochten, und der jüngeren, Madeleine, die eher rotblond war, hatte Louise es zu Schnecken gedreht, die beinahe die Ohren bedeckten.
„Dann lauft, aber gebt auf eure Kleidchen acht!“
Wie drollig sie anzusehen sind, dachte ich wehmütig. Noch wäre es nicht zu spät für mich, Kinder zu haben. Aber wenn mein Herz nun einmal für Bérenger schlug?
„Ich denke, es ist auch für mich Zeit, zu gehen!“ sagte ich und erhob mich entschlossen.
„O nein, Marie, du setzt dich jetzt augenblicklich wieder hin. Du bist mir noch eine Antwort schuldig!“
„Also, was willst du wissen?“ fragte ich und sah ihr dabei offen in die Augen.
Sie seufzte und wich meinem Blick aus. „Na, ob das stimmt, was die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass du ... dass du die Geliebte Saunières geworden bist!“
Ich holte tief Luft. Die Antwort wollte gut überlegt sein.
„Louise, du weißt, was die Leute so alles reden, wenn der Tag lang ist. Jenes Gerücht jedoch, auf das du anspielst, kommt vom Dorftrottel von Rennes, diesem Nichtsnutz, Jean. Überall schleicht er herum, der Tor. Angeblich will er beobachtet haben, dass Sauniére und ich ...“
„Ja?“ - Louise platzte nun fast vor Neugierde.
Ich schwieg und versuchte erneut – natürlich ohne Erfolg - durch intensives Herumrühren mit dem kleinen Löffel, den kalten Kaffee zu erwärmen. Als die Spannung schier unerträglich wurde, fuhr ich fort:
„In seinem ganzen Leben hat dieser Narr Jean noch nichts mit einer Frau zu tun gehabt! Kann es nicht so sein, dass er es sich vielleicht selbst wünscht, mit mir etwas anzustellen? Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass eine Art Wunschdenken hinter seinem blöden Gerede steckt. Er gehört in die Klapsmühle! Oder was meinst du?“
Louise starrte in ihre Tasse und schwieg.
Endlich hob sie den Kopf, blickte mir geradewegs in die Augen und sagte, mit einem kleinen amüsierten Lächeln um die Mundwinkel: „Ich meine, du lügst, Marie.“
Als ich wieder hinaufstieg nach Rennes, schossen mir die Tränen in die Augen. War es nun Mitleid gewesen, was ich in den Augen von Louise gesehen hatte, oder Verachtung?
Dass die Leute über uns redeten, wusste ich längst. Der bucklige Jean hatte uns tatsächlich beobachtet, unten im Tal, aus dem kleinen Wäldchen immergrüner Steineichen heraus, als wir ein einziges Mal leichtsinnig geworden sind und an einem heißen Augusttag die Verschwiegenheit unserer Schlafräume im Pfarrhaus getauscht haben gegen leise im Wind sich wiegende Kornähren, gegen den leuchtend roten Klatschmohn unter uns.
„Lass dich ganz einfach fallen, Marinette“, hatte Bérenger mit heiserer Stimme geflüstert und angefangen mich dort zärtlich zu küssen, wo man es eigentlich nicht tut.
Zuerst hatte ich mich ein wenig geziert, als er mich plötzlich schwer atmend ins Kornfeld drängte. Dann aber begann die Erregung mich selbst zu überwältigen. Die flimmernde Hitze dieses herrlichen Morgens, die Lerchen, die sich hoch über unseren Köpfen in den blauen Himmel hinaufschwangen, um dort oben zu jubilieren; das monotone Lied der Grillen, die gelben Zitronenfalter, die uns geschäftig umschwirrten, der volle Geruch des reifen Kornes – und natürlich das Gold, das aus den splissigen, ausgefransten Stellen des alten
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