Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
kreischen und die mächtigen Löwen brüllen hören, wobei ich mir heute nicht sicher bin, ob es dort überhaupt Löwen gibt. Das monotone Plätschern in der Regenzeit ließ mir ein Frösteln den Rücken hinunterlaufen, und die sengende Hitze der übrigen Tage machte mir die Kehle trocken. Simone erging es ähnlich.
Kurz gesagt - Ives Leclerque ließ uns zwei Frauen mit seinen eindrucksvollen Schilderungen an seinem Leben in der Fremde teilhaben, und das gefiel uns beiden über alle Maßen.
Stutzig wurde ich zum ersten Mal, als er anfing, mir „die besten Grüße“ auszurichten, danach „viele liebe Grüße an meine gute Freundin, Mademoiselle Marie“, zu schreiben und zum Schluss dringend eine Photographie „von der lieben Marie“ zu erbitten.
„Wozu braucht er eine Photographie von mir, Simone?“ fragte ich in aller Unschuld.
„Also“, Simone schmunzelte, die stahlblauen Augen verschämt gesenkt, kaute sie ein wenig nervös auf ihrer Unterlippe herum, „also eine Passage aus seinem letzten Brief habe ich dir unterschlagen, liebe Marie, ich habe mich nicht getraut, sie dir vorzulesen. Aber jetzt will ich es dir doch sagen. Ives hat sich in dich verliebt.“
„Was?“ rief ich empört. „Wie kann er sich in mich verliebt haben? Er kennt mich doch überhaupt nicht!“
„Deswegen möchte er ja auch eine Photographie. Außerdem kann man sich sehr wohl in jemanden verlieben, den man nur aus Briefen kennt“, belehrte mich Simone trotzig, „und ich habe dich immer von deiner besten Seite geschildert, Marie! Ich habe ihm erzählt, wie gerne du die Insel einmal mit eigenen Augen sehen würdest. Sei ehrlich, hier oben ist es langweilig, langweilig, langweilig!“
Schande und Schmach, dachte ich. Wie komme ich aus dieser Situation wieder heraus? Dann aber wurde ich wütend. Was bildeten sich die beiden nur ein? Wenn Simone von meinem aufregenden Leben hier auf dem Berg wüsste! dass ihr selbst langweilig war, weil sie sich die meiste Zeit in ihren vier Wänden einigelte, sich um keine Menschenseele im Dorf kümmerte, nur die fromme Odile ausspionierte und im übrigen vergebens auf ihren untreuen Mann wartete, wunderte mich nicht. Ich atmete tief durch und fragte sie dann frisch heraus: „Wie kommst du auf die Idee, dass ich von hier weg will? Denn darauf läuft es doch hinaus, nicht wahr? Ich soll ihn heiraten, deinen Bruder! Stimmt`s?“
Simone nickte heftig.
„Ja, ja, liebe Marie! Er wünscht es sich von Herzen. Er ist so alleine dort unten, es ist ganz schrecklich für ihn, immer nur von Eingeborenen umgeben zu sein, keine menschliche Ansprache den ganzen Tag. Du hast es mir außerdem selbst gesagt, damals bei deinem ersten Besuch!“
„Was soll ich gesagt haben? Bei meinem ersten Besuch bei dir hast du mir zwar von Madagaskar erzählt und dass dein Bruder dort einen Distrikt verwaltet. Aber es war doch so, dass du zu ihm ziehen solltest, um ihn zu unterhalten – nicht ich!“
„Ja“, entgegnete sie leicht ungehalten, „da wusste er ja auch noch nichts von dir. Aber, gib es zu, du hast mir seinerzeit gesagt, dass dich so ein Leben durchaus interessieren würde!“
„Und daraus habt ihr entnommen, dass ich hier alles liegen- und stehenlasse, um einen mir wildfremden Mann in Madagaskar zu ehelichen?“
Beinahe hätte ich mich verraten und gerufen: Ich liebe doch längst einen anderen!
„Er kann dir doch gar nicht so wildfremd sein! Du hast immer alles mit höchstem Interesse aufgesogen, was er geschrieben hat“, keifte jetzt Simone, die ihre Felle davonschwimmen sah.
„Das ist doch etwas ganz anderes! Man darf sich wohl noch für ein fremdes Land interessieren, ohne dass man gleich verkuppelt wird!“ gab ich zurück.
„Niemand will dich verkuppeln!“ Simone heulte los. „Ich weiß gar nicht, was in dich gefahren ist. Bitte verlasse mein Haus – auf der Stelle!“
Bérenger hatte überrascht von seinen Büchern aufgeschaut, als ich bereits am frühen Nachmittag wieder erschien, mit rotgeweinten Augen.
„Habt ihr euch gestritten, du und Simone Leclerque?“ fragte er.
„Man könnte es so nennen!“ stieß ich hervor, und dann erzählte ich empört und unter Schluchzen von Simones Kuppelei.
Am gleichen Abend noch hängte ich entschlossen all die Speere und Schilde, die Masken und Köcher ab, die seit langem unser Treppenhaus zierten. Ich zerrte sie hinunter in den Keller und warf sie in die hinterste Ecke. Mit Genugtuung malte ich mir dabei die andere Seite von Madagaskar
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