Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
und seinem Gewissen zu folgen, doch er ist bereits Hunderte von Jahren tot!“
„Er war ein Ketzer, Marie! Ein Ketzer!“
„Du hast auch schon anders über die Katharer gesprochen. Voller Hochachtung hast du mir von ihrer hohen Bildung und ihrer Menschlichkeit erzählt. Hast du inzwischen vergessen, was die Menschen zu Ketzern werden ließ?“
Bérenger machte eine wegwerfende Gebärde. „Natürlich nicht. Dennoch sind Ketzer Irregeleitete im Glauben. Um es mit einfachen Worten zu sagen: Es sind Leute, die es besser wissen wollen.“
Ich war mir ziemlich sicher, dass er in diesem Augenblick einzig und allein Boudet meinte, denn im schwarzen Buch hatte eine weitere merkwürdige Bemerkung gestanden:
„Schon wieder böser Streit mit B. wegen Ketzerei.
Er weiß alles besser und macht mich wirklich wütend.
Ich muss mich zusammenreißen.
Credo, quia absurdum!“
„Du als Theologe müsstest es auch besser wissen“, sagte ich. „Ketzer - meinethalben sagen wir ruhig ´Besserwisser` - gab es doch von Anfang an, also bereits wenige Jahre nach Christus.“
Sapristi, auch das hatte ich in seinen Aufzeichnungen gelesen!
„Da hast du recht, Marie.“ Bérenger sah mich erstaunt an. „Schon Paulus, der sich selbst gegen den jüdischen Verdacht zur Wehr setzen musste, einer Irrlehre aufgesessen zu sein, warnte seinerseits vor verschiedenen Strömungen innerhalb der jungen christlichen Gemeinden. Doch woher weißt du ...“
Nun setzte ich alles auf eine Karte!
„Aber die Katharer wollten Rom doch gar nicht bekämpfen“, unterbrach ich ihn, „sie baten schlicht und einfach darum, ihren christlichen Glauben ausüben und in Eintracht mit ihren katholischen und jüdischen Nachbarn leben zu dürfen. Dennoch hat man sie verfolgt.“
„Woher weißt du das alles, Marie?“ fragte er, nun vollends misstrauisch geworden.
„Das steht doch in den meisten Geschichtsbüchern“, warf ich lapidar ein.
Bérenger zeigte sich überrascht.
„Von welchen Büchern sprichst du? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich dir welche ausgeliehen hätte.“
„Hast du auch nicht! Als ich damals in Lyon war, bei Barthélémys Schwiegervater, habe ich mir einige Bücher mitgenommen, die mich interessierten. Sie liegen in meinem Schrank, unter dem Nachtzeug. Wie du siehst, weiß ich längst über alles Bescheid.“
„Ach, sieh mal einer an!“ sagte ein jetzt bass erstaunter Bérenger, leicht beleidigt. „Du wirst allmählich flügge, was? Du hättest doch mich um Auskunft bitten können. Ich habe es dir mehr als einmal angeboten.“
„Nun ja, du kannst mir ja irgendwann Boudets Buch ausleihen, wenn der große Meister nichts dagegen hat“, sagte ich ein wenig schnippisch.
„Boudet, der große Meister, wie du ihn boshaft bezeichnest, ist geschickt und schlau. Du wirst mit seinem Buch nicht viel anfangen können, Marie. Es ist gewissermaßen ein Ablenkungsmanöver. Für Außenstehende wird es sich um viele seltsam anmutende, keinesfalls alltägliche, eher allegorische Dinge handeln, um Zeichen auf ungewöhnlichen Steinen in unserer Gegend und um die Bedeutung der alten Teufelssteine. Boudet wird, wie Bigou seinerzeit, den Ort – wenn wir ihn endlich gefunden haben – gut verschlüsseln und dafür Unwichtiges in den Vordergrund schieben. Der Titel des Buches steht aber bereits fest: Die wahre keltische Sprache und der Kromlech von Rennes-les-Bains .“
„Verschlüsseln? Wozu will er so ein Buch überhaupt schreiben, wenn es keiner verstehen soll?“
„Marie, das kann ich dir jetzt wirklich nicht erklären“, sagte Bérenger ärgerlich. „Laß uns weitergehen, es ist höchste Zeit.“
Gerade als wir aufstehen wollten, ritt uns Monsieur Torkain entgegen, der am Dorfrand einen kleinen Hof bewirtschaftet und mehrere Weinberge sein eigen nennt. Bei unserem Anblick bockte plötzlich sein Maulesel und wollte partout nicht weiter.
„Bonjour, Hochwürden, bonjour, Mademoiselle Marie! Herrliches Wetter, nicht wahr?“ rief der Bauer schelmisch grinsend, wie es so seine Art ist. „Ich will zum Vorderen Münzberg reiten, um Unkraut zu jäten. Komm, Grauer, beweg deine alten Knochen, oder muss ich dir erst Beine machen? He, he, he!“ Ungeduldig klopfte der Mann dem Esel auf den Nacken und trat ihm zugleich heftig in die Seite. „Los, los, wir haben es eilig, müssen hart arbeiten. Wir haben es nicht so schön wie andere Leute auf dieser Erde, denen das Geld einfach so in den Schoß fällt!“
Was immer dieser letzte Satz
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