Marie + Leo = Liebe (German Edition)
richtig Schlimmes passiert. Die paar leichten
Verletzungen, die er bisher davongetragen hatte, in über zehn Jahren Bundeswehr
vielleicht eine Handvoll, waren alle nicht der Rede wert gewesen. Doch dass er
bei diesem Einsatz nicht so glimpflich davonkommen würde, hatte er von
vornherein gewusst. Da sollte Ricarda noch einmal sagen, Leo wäre eine
gefühllose Tötungsmaschine.
Marie war so wütend. Auf diesen
Attentäter zwar auch, aber der interessierte sie eigentlich noch am wenigsten.
Viel wütender war sie zu gleichen Teilen auf Leo, weil er trotz seiner
Vorahnung gefahren war, und auf sich selbst. Sie hätte ihn daran hindern
müssen, zu fahren. Sie hätte ihm viel früher ihre Gefühle gestehen sollen. Dann
hätte er vielleicht schon längst den Dienst quittiert und wäre mit ihr in ein
Reihenhaus am Stadtrand gezogen, was ihr plötzlich gar nicht mehr langweilig
und spießig vorkam, sondern unendlich reizvoll. Und vor allen Dingen hätte sie
ihm sofort von ihrer Schwangerschaft erzählen sollen. Als ob sie den Test
gebraucht hätte, um sicher zu sein. Sie hatte sich einfach nur davor gedrückt,
den Tatsachen ins Auge zu sehen.
Zu diesem Zeitpunkt waren die
Tatsachen noch gewesen, dass sie von einem KSK-Major, der bei einem
Auslandseinsatz war, schwanger war. Jetzt waren die Tatsachen, dass sie
schwanger war von einem KSK-Major, der auf ebendiesem Auslandseinsatz schwerste
Verletzungen davongetragen hatte. Tödliche Verletzungen?
Marie presste sich die Hand vor
den Mund und Kai griff etwas fester zu.
Wenn er gewusst hätte, dass er
Vater wird, wäre er vorsichtiger gewesen. Vielleicht wäre er sogar sofort
zurückgekommen. Dann wäre ihm nichts passiert. Doch es war etwas passiert, weil er es eben nicht gewusst hatte. Weil sie
zu feige gewesen war. Erst zu feige, um ihm zu sagen, dass sie ihn liebte, und
dann zu feige, ihm zu sagen, dass sie schwanger war.
Marie grub ihre Fingernägel
tief in ihre Handinnenflächen. Sie spürte den Schmerz nicht einmal.
Sie stand wieder einigermaßen
sicher auf den Beinen und Kai ließ sie los, um einen Stuhl für sie heranzuziehen.
Ohne ihn anzusehen oder ihm zu danken nahm sie Platz, den Blick fest auf Leo
geheftet. Auf den Mann, an dessen Verletzungen sie schuld hatte.
Kai räusperte sich. Marie
reagierte noch immer nicht und er entfernte sich. Er hatte das Gefühl, sie
würde ihn nicht sonderlich vermissen.
Marie hatte keine Ahnung, wie
lange sie an Leos Bett gesessen hatte, doch als die Schwester sie freundlich,
aber sehr bestimmt am Arm von der Station führte, war es kurz nach halb elf Uhr
abends.
Marie sah sich um. Was sollte
sie jetzt tun? Sie war hundert Kilometer von zuhause entfernt, es war spät und
sie fühlte sich miserabel.
Es dauerte eine Weile, bis sie
den Ausgang gefunden hatte, denn sie verirrte sich mehrmals in den immer gleich
aussehenden Gängen.
Vor dem Eingangsportal
blinzelte sie. Es wäre wohl das Beste, wenn sie sich ein Taxi rief, beschloss
sie. Da spürte sie zwei Arme, die sich um sie legten. Einer von rechts, einer
von links. Der rechte gehörte Ricarda, der linke Tobias und gemeinsam führten
sie Marie zu Tobias´ in der Nähe parkendem Auto, auf dessen Beifahrersitz nicht
nur eine Wolldecke, sondern auch eine Thermoskanne mit Kräutertee aus dem Dritte-Welt-Laden aussahen, als ob sie auf Marie
gewartet hätten.
„Jetzt musst du mit der rechten Hand die Nadel durch die Masche führen.“
Marie musterte die beiden Nadeln in ihrer Hand. Welche musste jetzt wo
durch?
Karolin nahm die Hand ihrer Tochter und führte sie. Wenn Marie in diesem
Tempo weitermachte, würde der Pulli vielleicht zu Leos 80. Geburtstag fertig, befürchtete sie.
Karolin fand, dass sie eine ziemlich gute Mutter war. Sie hatte ihren
beiden Töchtern alles vermittelt, was man für das Leben so brauchte. Stricken
brauchte man nicht.
Karolin war bis jetzt immer der
Meinung gewesen, dass Marie ein vernünftiges Mädchen war, das seine Grenzen
kannte und wusste, wann Weitermachen einfach keinen Zweck hatte. Das hier war
so ein Fall.
„Weshalb kaufst du ihm nicht einfach einen schönen Pullover?“, schlug sie
daher vor.
Nicht zum ersten Mal wohlgemerkt.
Marie reagierte verzögert, sie kämpfte gerade mit einer Masche. Zehn hatte
sie schon geschafft und das, obwohl sie erst vor einer halben Stunde angefangen
hatte.
„Ich möchte ihm eben etwas Persönliches schenken“, verteidigte sie sich.
Karolin hätte froh sein können, dass Marie
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