Marienplatz de Compostela (German Edition)
gelb.
»Wer?«, fragte Hartmann.
»Franz Huber, so heißt der Typ, den wir kontaktieren. Einer der Vorarbeiter, oder Gruppenleiter. Sie beginnen jetzt mit der Spätschicht.«
Als wäre sie hier zu Hause, schritt sie durch die von Menschen überfüllten Gänge. Berufsverkehr.
Hartmann hatte ständig das Gefühl, sie bewegten sich gegen die Strömung der Menschenmassen. Gemurmel, die Schritte, das Rascheln von Tüten, die mechanischen Geräusche – es hallte gedämpft wider und von Weitem kamen Akkordeonklänge. Lara Saiter blieb vor einer Stahltüre stehen, an der ein leuchtend gelber Aufkleber vor der Stromschlaggefahr warnte. Lara drückte auf einen Klingelknopf, der hinter einer Klappe verborgen war und klopfte mit dem Autoschlüssel gegen die Eisentür. Sie zwinkerte Hartmann aufmunternd zu.
Nicht einmal das blecherne Klacken des Schlüssels an der Stahltüre war bis zu ihm, der noch einige Meter entfernt war, zu hören. Es versickerte im Geräuschemeer.
Die Tür öffnete sich und ein schlaksiger Typ im Blaumann war im kalten Licht einer Neonröhre zu erkennen. Lara Saiter wechselte einige Worte mit ihm, er sah Hartmann prüfend an und drehte sich dann um. Eine lässige Kopfbewegung deutete an, dass sie ihm folgen sollten.
»Gscheit zuziehn!«, forderte er sie mit grantelndem Ton und kontrollierte mit einem kurzen Blick, ob die Tür richtig geschlossen war. Die plötzliche Stille hinter der Stahltür wirkte gespenstisch.
Lara Saiter und Hartmann warfen sich verstohlene Blicke zu. Schweigend folgten sie dem Kerl durch Gänge, in denen es kühl war und die Trockenheit im Rachen bald zu kitzeln begann. Hartmann musste sich mehrfach räuspern. Obwohl sie sich schon weit unter der Erde wähnten, führten enge Treppen immer weiter nach unten. Fortwährend zitterte die Erde, begleitet von einem dumpfen Grollen.
Nach einigen Wendungen hatte sie beide die Orientierung verloren. Ein warmes Licht schien aus einer offen stehenden Tür in den dunklen Gang. Männerstimmen waren zu hören und Radiomusik. Eine der Stimmen war dominierend. Der Blaumann blieb im Gang stehen und deutete in den Raum. Hartmann ging voraus. Es war eine enge unterirdische Kammer – ein Brotzeitstüberl. Das Licht kam von einer matten Glühbirne, die in einer bloßen Fassung hing. An der Längswand standen alte Metallspinde, deren Schließhebel verbogen waren. Die dunkelgraue Lackierung war großflächig abgesprungen. In der Mitte des Raums stand ein alter Werktisch. Die grob zugeschnittene Wachstuchdecke konnte die gerissenen und abgeplatzten Kanten nicht verdecken. Vier einfache Holzstühle standen herum; gelblich das Holz, die Lehnen waren über die Jahre hinweg schwarz vom Anfassen geworden. Drei Männer saßen bei der Brotzeit. Es roch nach Leberkäse. Dicke Scheiben lagen auf einem Papier vor jedem. In der Mitte des Tisches verströmte ein geöffnetes Maxiglas Senf ein süß-säuerliches Aroma. Der Wortführer war ein Endfünfziger mit massigem Körper und breitem Schädel. Er hatte eine tiefe, dröhnende Stimme, die er genussvoll zum Einsatz brachte. Er nickte Hartmann zu und fixierte Lara etwas länger als es höflich gewesen wäre, bevor er eine Handbewegung vollzog, die den beiden signalisieren sollte, gleich an die Reihe zu kommen. Erst musste er noch fertig erzählen.
Hartmann lehnte sich an einen der Spinde. Das musste der Huber Franz sein, von dem Lara erzählt hatte.
Der ließ sich nicht stören und schnitt mit dem Messer ein grobes Stück Leberkäse ab, spießte es auf und steckte es in den Mund. Nach zwei, drei Bewegungen des Kiefers begann er zu erzählen. »Ja … wie gesagt, gell, da bin ich dann dagestanden und recht angejammert hat’s mich, aber was sollt ich denn tun, als den Doktor holen, wo’s doch seit Tagen keinen Stuhlgang nicht gehabt hat.«
Er sah in die Runde seiner Kollege, die kauend zustimmend nickten.
»Der hat sie dann auch gleich ins Krankenhaus bringen lassen, gell, und ich hab dann noch Sachen zusammengesucht, da hat des Krankenhaus dann angerufen, wann denn jemand kommt, weil der Doktor dort hätte eine Unterschrift gebraucht, weil er operieren hat wollen … meiomeiomei … und bis ich dann hingefahren war, da hat er schon operiert gehabt, weil er sich gesagt, hat, da wart ich doch nicht auf die Unterschrift, gell. Und da fragt man sich doch, wozu es überhaupt so eine Unterschrift braucht, gell.«
Die anderen nickten.
»Ja, und was ist jetzt?«, fragte einer.
»Noch zwei, drei Tage, dann
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