Marienplatz de Compostela (German Edition)
alles Flutungsbecken, die man füllen kann, wenn die Isar für Überdrucksituationen sorgt.«
»Und die Eisentüren?«
»Das kommt ja nicht unerwartet. Die werden geöffnet und eingehängt. Nimmt Druck von den Ventilen. Blöd waren die früher auch nicht.«
»Blöde bin ich auch nicht! Und jetzt will ich das Gewölbe sehen, das auf dem Foto zu sehen war!«
Es befand sich hinter einer weiteren, diesmal zweiflügeligen Tür und hatte einen Zugang zu dem abgetrennten Gewölbegang, den sie vorher durchschritten hatten.
»Ein Rundweg«, diktierte Hartmann in sein Handy, »im Zentrum ein Rückhaltebecken, zugänglich über sechs kleinere Hallen und durch einen langen Quergang eben mit diesen verbunden. In der Mitte des Quergang das Gewölbe, das auf dem Foto zu sehen war.«
An den Wänden fielen ihm Markierungen auf.
»Was ist das?«
»Keine Ahnung. Mich brauchen Sie heute nichts mehr fragen. Meine Spätschicht ist beendet.«
Hartmann filmte, fotografierte und diktierte. Dann ließ er sich vom Huber Franz wieder an die Oberfläche bringen.
Er atmete die warme, fruchtige Sommerluft gierig ein. Was bewegte jemanden dazu, seine Abende da unten in diesem Muff zu verbringen?
Es musste eine große Langeweile und Leere sein. Oder die Gier nach einem Kick? Er wusste es nicht.
*
Bucher hatte den Kollegen von der Polizeiseelsorge zu Hause abgesetzt und war noch mal zur Dienststelle gefahren, um bei der forensischen IT Auskunft einzuholen, was die Postkarte von Anne Blohm anging. Vielleicht gab es eine Möglichkeit diesen ominösen Text unter Zuhilfenahme moderner Computertechnik zu entschlüsseln. Er war sich inzwischen völlig sicher, dass Anne Blohm keinen Unsinn geschrieben hatte. Mehrfach hatte er versucht, sich mit dem Text zu befassen, doch immer wieder tauchte das Foto auf, welches Anne Blohm am Marienplatz zeigte, und die Buchstaben, Worte und Sätze verschwanden in einem Nebel. Er brauchte eine nüchterne, neutrale Person, um diesen Text zu analysieren, so eigenartig ihm das selbst vorkam.
Die Kollegen hörten aufmerksam zu, verwiesen ihn jedoch an eine andere Stelle. Er spürte – das war kein Abwimmeln, sondern seriöse Beratung. »Geh zum Doktor Cosinus, der kann dir helfen, ganz bestimmt. Der ist oben bei den Fahndern und mischt die Kinderficker auf.«
Zurück im Büro kontrollierte er seine Mails und klopfte Batthuber aufmunternd auf die Schultern, der schwer beschäftigt vor seinen drei Bildschirmen saß.
Die schreiende Schwester von Nora Bender tauchte wieder in seiner Erinnerung auf. War es erst vor wenigen Stunden gewesen, als sich ihr Körper vor Schmerz gewunden und gekrümmt hatte. Dazu dieses tiefe, dumpfe Stöhnen. Ihm war flau geworden.
Auf seinem Schreibtisch lag nichts Wichtiges. Seine Gedanken machten was sie wollten, sprangen von einem Aspekt des Falles zum anderen. Er musste raus hier. Raus ins Freie, unter den blanken Himmel.
Zu Hause angekommen, holte er eine Flasche Belleruche aus dem Keller, schlurfte nach oben ins Giebelzimmer und schaltete den Fernseher ein. Das Zappen ließ ihn bei einer Reportage über die Côte d’Azur landen. Ein derber Kerl saß in einem Strandrestaurant und grinste in die Kamera. Er sprach Englisch und erzählte mit selbstgerechter Miene, dass er es sich nie hätte vorstellen können, bei seiner Vergangenheit, einmal ein solches Leben zu führen. Er stellte sich selbst als absoluten Weinkenner vor. Die Formulierung störte Bucher. Im Laufe der nächsten Minuten erlebte er, wie der Typ nicht ohne einen gewissen Stolz von der entbehrungsreichen Zeit im Knast sprach. Ein Krimineller. Z wei Menschen mussten durch ihn sterben, wie er es ausdrückte.
Mussten sie wirklich sterben? Er schaltete den Krampf aus. Auf so was stand diese Gesellschaft – auf Extotschläger, die an der Côte d’Azur Hummer speisten, den Châteauneuf du Pape lobten, sich als absolute Weinkenner gerierten und mit sich und dem Leben zufrieden waren. Würde der Mörder von Nora Bender auch einmal vor einer Kamera sitzen und über Wein philosophieren? Ärgerlich ging er hinaus ins Dunkel, sah auf die schwarzen Spitzen der Fichten drüben am Waldrand und trank das Glas ohne Genuss leer.
Der Freitagmorgen begann wie immer mit der täglichen Zusammenkunft, dem Austauschen von Informationen und Verabreden von Maßnahmen. In einem anderen Gebäudetrakt wurde derweil jedes Detail des Falles registriert, kategorisiert, verschlagwortet und in einer Datenbank gespeichert. Ständig gab eine sich
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