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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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überlegt, sich aber gehütet, rundheraus zu fragen.
    Gerrit musste sich vorbereitet haben, das legten auch seine Ortskenntnisse nahe. Er hatte das Zentrum von Neustadt angesteuert und sie zu einem Café auf dem Marktplatz geführt, vorbei an einer trutzig wirkenden Backsteinkirche, zu deren Füßen letzte Rosen das Mauerwerk emporklommen, die Blüten weithin leuchtend. Dort hatte sie im Rücken von bronzenen Fischern ihren Süchten frönen können, Koffein und Nikotin, endlich, nachdem sie bereits zu nachtschlafender Zeit aufgestanden waren. Während Gerrit zur Toilette verschwunden war, hatte sie sich umgeschaut.
    Wie Urlaub war es ihr vorgekommen, noch einmal draußen sitzen zu können bei strahlendem Sonnenschein, die Menschen zu beobachten, die angesichts des so gar nicht novemberhaften Wetters ausnahmslos gut gelaunt ihres Weges eilten, den älteren Damen am stetig anwachsenden Stammtisch nebenan zu lauschen, die sorgsam die über den Stuhllehnen liegenden Wolldecken über die Knie breiteten und sich sodann über neueste schattengraue Lektüre, schrillste Strickmuster und frivolste Tattoos austauschten – im Angesicht der Kirche am anderen Ende des Platzes, die grimmig die Stirn zu runzeln schien. Gerade als sie sich zu wundern begann, wo Gerrit so lange blieb, war er zurück an ihren Tisch gekommen. Pokerface, doch die Lichter in seinen Augen tanzten, und ihr war klar gewesen, dass er vor lauter Mitteilungsbedürfnis regelrecht zu platzen drohte. Sie hatte ihn hingehalten, lediglich fragend die Brauen gehoben.
    »Der Bruder der Inhaberin war mit Lilian in einer Klasse, in einem Internat übrigens«, hatte er sie schließlich aufgeklärt. »Sie sei sehr schön gewesen, aber«, er setzte mit gekrümmten Fingern Anführungszeichen in die Luft, »›dumm wie Bohnenstroh‹. Das Abitur müsse man erkauft haben. Den Job danach ebenso.« Er blickte sie lobheischend an.
    »Welcher Job?«, erkundigte sich Marilene nur.
    »Wusste sie nicht, auf jeden Fall hier in der Stadt, Lilian war immer mit dem Rad unterwegs. Bis man sie irgendwann nicht mehr gesehen hat.«
    »Weil …«, sekundierte Marilene.
    »Weil weiß man nicht.« Gerrit ließ betrübt die Schultern hängen. »Es ist auch nicht sofort aufgefallen, man spioniert ja niemandem nach, sie konnte also auch nicht genau sagen, ab wann sie fort war. Natürlich habe es Gerüchte gegeben, Enterbung, Entführung, Entjungferung – okay, schlechter Witz«, gab er zu, bevor er fortfuhr. »Jedenfalls habe man nie etwas Genaues herausgefunden. Aber es gibt einen Bruder von Lilian. In Lübeck. Den man übrigens hier auch kaum noch sieht.«
    »Gute Arbeit«, hatte Marilene ihn gelobt und ihre Zigarette ausgedrückt. Sie hätte länger dort sitzen mögen und war nur widerwillig aufgebrochen, das umfangreiche Tagespensum zu erfüllen.
    Sie drückte abermals auf die Klingel. Drei Wagen, neben denen sich der Mini wie ein Floh ausnahm, standen in der gekiesten Auffahrt, also war anzunehmen, dass durchaus jemand zu Hause war. Auch standen mehrere der unter dem Reetdach wie unter einem zu langen Pony hervorlugenden Fenster auf Kippe, und das würde man doch wohl selbst auf dem Land nicht riskieren, vor allem nicht, wenn es sich um ein so offensichtlich gehobenes Anwesen handelte wie dieses, das gut als Touristenattraktion taugte. Das weiß getünchte Haupthaus bildete ein großes U um den gepflasterten Hof herum und bot Platz für eine vermehrungsfreudige Großfamilie. Von hier aus sah sie allein vier Nebengebäude, die, kaum kleiner, sich in dem parkähnlichen Garten ums Haupthaus gruppierten wie dessen Kinderschar. Landadel, erlaubte sie sich ein vorschnelles Urteil, und zumindest finanziell war Antonia einiges entgangen, sofern es sich hier tatsächlich um ihre Familie handelte.
    »Ja bitte?«
    Na endlich, dachte Marilene und fühlte sich aus ihrer Zeit katapultiert. Sie hätte nicht gedacht, dass es heutzutage noch Dienstmädchen gab, obendrein in Uniform. »Mein Name ist Müller«, sagte sie, »ich bin Rechtsanwältin und auf der Suche nach Lilian Tewes.«
    »Moment«, bat die Frau, die man unmöglich als Mädchen bezeichnen konnte, da sie die fünfzig überschritten haben dürfte, »ich sage der gnädigen Frau Bescheid.« Sie knallte ihnen die Eichentür vor der Nase zu, worauf der Türklopfer seiner vergessenen Bestimmung nachkam.
    »Besser mit als ohne Uniform«, murmelte Gerrit.
    »Lernst du jetzt etwa bei Lothar Gedanken lesen?« Marilene warf ihm einen entrüsteten Blick

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