Marionetten
Mr. Tommy, Sie können über mich verfügen«, antwortete sie im gleichen Stil.
Diese absurden Rituale, vor einem Vierteljahrhundert von Brues Vater in Wien eingeführt und seither vom Sohn übernommen, waren dazu gedacht, die Kontinuität des Hauses Brue Frères zu zelebrieren.
»Wenn ich Ihnen gegenüber den Namen Karpow erwähnen würde, Frau Elli – Grigorij Borisowitsch Karpow –, und wenn ich das Wort Lipizzaner hinzufügen würde: wie wäre Ihre Reaktion, meinen Sie?«
Der Scherz hatte schon aufgehört, einer zu sein, ehe Brue am Ende seines Satzes ankam.
»Ich glaube, ich wäre traurig, Mr. Tommy«, sagte sie auf deutsch.
»Traurig weshalb? Wegen Wien? Wegen Ihrer kleinen Wohnung in der Operngasse, die Ihre Mutter so geliebt hat?«
»Wegen Ihrem lieben Vater.«
»Vielleicht auch ein bißchen wegen der Dinge, die er in puncto Lipizzaner von Ihnen verlangt hat?«
»Die Lipizzanerkonten waren nicht korrekt«, sagte sie mit niedergeschlagenen Augen.
Es war eine Unterhaltung, die sie vor sieben Jahren hätten führen sollen, aber Brue hielt nichts davon, alte Steine ohne Not umzuwälzen, schon gar nicht, wenn er sich lebhaft vorstellen konnte, was darunter zum Vorschein kommen würde.
»Aber Sie haben sie dennoch – sehr loyal – weiterverwaltet«, sagte er behutsam.
»Nicht verwaltet, Mr. Tommy. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, sowenig wie möglich über ihre Verwaltung zu wissen. Das ist Sache des Fondsmanagers in Liechtenstein. Das ist sein Terrain und sein tägliches Brot, wie ich annehme, was immer man von seiner Gesinnung halten mag. Ich tue lediglich, was ich Ihrem Vater versprochen habe.«
»Und dazu gehörte, wenn ich das richtig sehe, die Verschlankung der Personalakten vergangener und gegenwärtiger Kontoinhaber.«
»Ja.«
»Und das haben Sie auch bei Karpows Akte gemacht?«
»Ja.«
»Und die Papiere in dieser Akte« – er hielt sie hoch – »sind somit alle Papiere, die uns bleiben?«
»Ja.«
»Auf der ganzen Welt. Im Karzer unten, im Keller in Glasgow, hier in Hamburg.«
»Ja«, erwiderte sie mit Nachdruck, nach einem winzigen Zögern, das Brue nicht entging.
»Von diesen Papieren einmal abgesehen, haben Sie auch persönliche Erinnerungen an Karpow – noch von damals, aufgrund irgendwelcher Bemerkungen vielleicht, die mein Vater über ihn gemacht oder nicht gemacht hat?«
»Ihr Vater behandelte Karpows Konto mit dem größten …«
»Ja …?«
»Respekt, Mr. Tommy«, erklärte sie errötend.
»Aber mein Vater hat doch sicher alle Kunden mit Respekt behandelt?«
»Ihr Vater nannte Karpow einen Mann, dem seine Sünden vergeben werden müssen, sogar im voraus. So nachsichtig war er bei unseren Kunden nicht immer.«
»Hat er gesagt, warum sie ihm vergeben werden müssen?«
»Karpow war ein Sonderfall. Alle Lipizzaner waren Sonderfälle, aber Karpow noch einmal mehr.«
»Und hat er gesagt, was für Sünden das waren, die im voraus vergeben gehörten?«
»Nein.«
»Hat er vielleicht angedeutet, daß ein – wie soll ich sagen? – ein etwas unübersichtliches Liebesleben eine Rolle spielen könnte? Uneheliche Kinder hier und dort, solche Dinge?«
»Im weitesten Sinne angedeutet, ja.«
»Aber nicht konkret angesprochen? Nie beispielsweise einen geliebten illegitimen Sohn erwähnt, der eines Tages bei uns aufkreuzen könnte?«
»Es wurden so viele Eventualitäten in Verbindung mit den Lipizzanern erörtert. Ich kann nicht sagen, daß mir eine gesondert im Gedächtnis geblieben ist.«
»Und Anatolij ? Warum kommt mir der Name Anatolij bekannt vor? Kann ich das irgendwann mitgehört haben? Anatolij regelt das schon?«
»Es gab einen Anatolij, der eine Art Vermittler war, glaube ich«, antwortete Frau Elli widerwillig.
»Vermittler zwischen …?«
»Zwischen Mr. Edward und Oberst Karpow, wenn Karpow nicht verfügbar war oder nicht verfügbar sein wollte.«
»Als Karpows Rechtsanwalt, meinen Sie?«
»Als« – sie zögerte »als sein … nun ja, Anatolijs Dienste gingen über das rein Rechtliche hinaus.«
»Sein Unrechtsanwalt also«, scherzte Brue und drehte, als jede Reaktion ausblieb, eine seiner Runden durch den Raum. »Ich will Sie jetzt nicht bemühen, den Karzer aufzuschließen, aber können Sie mir in groben Zügen, einfach Pi mal Daumen, sagen, welchen Prozentsatz des Fonds das Konto von Karpow ausmacht?«
»Jeder Inhaber eines Lipizzanerkontos erhielt Anteile entsprechend der von ihm investierten Summe.«
»Sehr plausibel.«
»Wenn der
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