Marionetten
Blick starr geradeaus gerichtet wie ein Kind beim Schulkonzert, eine förmliche Erklärung ab.
»Herr Brue, ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, daß ich über die Illegalität der Lipizzanerkonten mittlerweile vollständig aufgeklärt bin. Angesichts meiner untergeordneten Stellung zur fraglichen Zeit und angesichts der Versprechen, die ich Ihrem verstorbenen Vater geben mußte, hat man mir nahegelegt, mich Ihnen gegenüber in dieser Sache nicht mehr zu äußern.«
»Gewiß, gewiß«, sagte lebhaft Brue, der selten so in seinem Element war, wie wenn er einen Rückschlag erlitt. »Ganz d’accord, Frau Elli. Akzeptiert. Die Bank dankt Ihnen.«
»Und Mr. Foreman hat angerufen«, bemerkte sie an der Tür, als Brue ihr nacheilte, um ihr das Kaffeetablett abzunehmen.
Warum kehrte sie ihm beim Sprechen den Rücken zu? Warum war ihr Nacken glutrot?
»Schon wieder? Warum das denn?«
»Er wollte Ihre Verabredung heute mittag bestätigen.«
»Er hat sie doch schon am Freitag bestätigt, Himmelherrgott!«
»Er hat sich nach Ihren Essensvorlieben erkundigt. Das La Scala ist auf Fisch spezialisiert, sagt er.«
»Ich weiß, daß es auf Fisch spezialisiert ist. Schließlich esse ich mindestens einmal im Monat dort. Ich weiß zufällig auch, daß sie mittags nicht offen haben.«
»Anscheinend hat Mr. Foreman eine Sonderregelung mit dem Besitzer getroffen. Und er kommt mit seinem Geschäftspartner, einem Mr. Lantern.«
»Seinem Strahl der Erleuchtung«, meinte Brue, mit einer bitteren kleinen Genugtuung über seine Schlagfertigkeit. Aber sie wich ihm immer noch aus, als hätte er den bösen Blick, und er für seinen Teil fragte sich, was für ein Mann dieser Foreman sein mußte, daß Mario seinen zugegebenermaßen winzigen Laden mittags für ihn öffnete, an einem Montag auch noch.
Frau Ellenberger überwand sich endlich dazu, ihm ins Gesicht zu sehen.
»Mr. Foreman bringt hervorragende Referenzen mit, Mr. Tommy«, sagte sie mit einer Betonung, die er nicht recht deuten konnte. »Sie haben mich gebeten, Erkundigungen über ihn einzuholen, also habe ich das getan. Mr. Foreman wird von Ihren Londoner Anwälten wärmstens empfohlen und von einer großen Bank in der City ebenfalls. Und er fliegt eigens aus London ein.«
»Mit seinem Strahl der Erleuchtung?«
»Mr. Lantern reist aus Berlin an. Er arbeitet offenbar dort. Ihr Lunch soll ein für beide Seiten unverbindliches Sondierungstreffen sein. Das Projekt, das sie vorstellen wollen, ist sehr groß angelegt und wird eine extensive Machbarkeitsstudie erfordern.«
»Und das weiß ich seit wann?«
»Seit genau einer Woche, Mr. Tommy. Wir haben es letzten Montag besprochen, ziemlich exakt um diese Zeit, danke sehr.«
Und warum danke sehr, wenn ich fragen darf? überlegte Brue. »Ist die Welt verrückt geworden, oder bin ich es, Frau Elli?«
»Das hat Ihr Vater auch immer gesagt, Mr. Tommy«, erwiderte Frau Ellenberger steif, und Brues Gedanken kehrten zurück zu Annabel: zu dieser souveränen, lebenssprühenden jungen Frau auf ihrem Fahrrad, die keine gesellschaftlichen Anlässe nötig hatte, um jemand zu sein.
* * *
Entgegen Brues Befürchtungen erwiesen sich die Herren Foreman und Lantern als spritzige Tischgenossen. Als er im La Scala ankam, hatten sie Mario bereits dazu bezirzt, sie an Brues Stammplatz am Fenster zu führen und ihnen zu verraten, welcher toskanische Weißwein sein liebster war, damit sie gleich ein Fläschchen für ihn bereithalten konnten. Und da schmiegte es sich auch schon in den Eiskübel, entkorkt, und wartete auf ihn.
Gut, ein bißchen wunderte er sich, wie sie überhaupt auf das La Scala gekommen waren – aber da die meisten Hamburger Banker wußten, daß er gern dort aß, nahm er einfach an, sie wüßten es auch. Oder Foreman hatte Frau Ellenberger um den Finger gewickelt, denn Charme besaß Foreman in rauhen Mengen. Es gibt Menschen, mit denen man sich sofort verbunden fühlt. Foreman hätte Brues Zwillingsbruder sein können, gleich groß wie Brue, gleich alt wie Brue; sogar die gleiche Kopfform hatte er. Er war vornehm, auf diese bodenständige Art, die Brue immer bewunderte, mit fröhlichen Augen und einem so entwaffnenden Lächeln, daß man gar nicht anders konnte als mitlächeln. Und seine vertraulich gesenkte Stimme war die eines Mannes, der es gelernt hat, die Welt so zu nehmen, wie sie ist.
»Tommy Brue! Welche Freude, Sir, welch ausgemachte Freude«, murmelte er, als Brue durch die Tür kam, und erhob sich. »Darf
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