Marionetten
enthielt. »Es könnte eventuell sein, daß da ein paar komische Deutsche ihre Nase mit reinstecken. Sollte das passieren, dann würden wir Sie auch für diesen Fall bitten, uns sofort zu verständigen, damit wir uns darum kümmern können. Was wir natürlich umgehend tun werden. Vorausgesetzt, Sie geben uns die Chance dazu.«
»Wieso denn die Deutschen ?« wunderte sich Brue und dachte an die eine Deutsche, die ihre Nase schon in der Sache drin hatte – auch wenn sie wohl nicht die Art Deutsche war, vor der sie ihn warnten.
»Vielleicht mögen sie es nicht so gern, wenn britische Banken in ihrem Revier Schwarzgeldkonten verwalten«, schlug Lantern mit einem anmutigen Hochziehen seiner jungen Brauen vor.
Im Taxi sah Brue auf sein Handy und rief dann Frau Ellenberger an. Nein, kein Wort von ihr, Mr. Tommy. Auch nicht auf Ihrer Privatleitung.
* * *
Einen Ort gab es, der Brue kostbar war: aller Öffentlichkeit zugänglich und doch ein Ort nur für ihn, der ihm Zuflucht bot, wenn das Leben ihn zu hart ankam. Es war ein kleines Museum, das dem Werk von Ernst Barlach gewidmet war. Brue war kein Kunstkenner, und der Name Barlach war ihm nur vage ein Begriff gewesen, bis ihm vor zwei Jahren Georgie mit dürrer Stimme quer über den Atlantik hinweg mitgeteilt hatte, daß ihr sechs Tage alter kleiner Junge tot war. Nach dem Auflegen war er auf die Straße hinausgegangen, hatte das erstbeste Taxi herangewinkt und den Fahrer, der schon älter war und dem Namen auf seiner Zulassung nach Kroate, gebeten, ihn irgendwo hinzubringen, wo er für sich sein konnte, ganz egal wo. Eine halbe Stunde später, während deren zwischen ihnen kein weiteres Wort gewechselt worden war, hatten sie vor einem niedrigen Ziegelbau am Rand eines großen Parks angehalten. Einen grauenhaften Moment lang meinte Brue, vor einem Krematorium abgesetzt worden zu sein, aber eine Frau an einem Schalter verkaufte Eintrittskarten, also kaufte er eine und betrat einen glasüberdachten Innenhof, der von niemandem bevölkert war als von mythischen Gestalten aus einer Welt zwischen den Welten.
Eine trug eine Mönchskutte mit wehendem Saum. Eine zweite schien in Depressionen versunken, eine dritte in Brüten oder in Verzweiflung. Wieder eine andere schrie, ob vor Schmerz oder Freude, wußte Brue nicht zu sagen. Unübersehbar aber war jede Gestalt so allein wie Brue selber; jede teilte sich mit, ohne daß jemand ihr zuhörte; jede suchte nach einem Trost, den es für sie nicht gab, was in sich eine Form der Tröstung darstellte.
Barlachs Botschaft an die Welt, so empfand es Brue, war letztlich eine des Mitleidens, tiefen, ratlosen Mitleidens, und so war er denn seit diesem Tag wohl ein dutzendmal hier gewesen, immer zu Zeiten, wenn akute Verzweiflung ihn in ihren Fängen hatte (der schwarze Hund, wie Edward Amadeus dazu zu sagen pflegte) oder wenn in der Bank etwas ernsthaft schieflief oder auch damals, als Mitzi ihm mehr oder weniger auf den Kopf zugesagt hatte, daß er als Liebhaber ihren Ansprüchen nicht genügte – nicht, daß er sich etwas Derartiges nicht schon gedacht hatte, aber so offen hätte er es lieber nicht ausgesprochen gehört. Doch nie zuvor war er in einem solchen Zustand verspäteter Wut und Verwirrung hierhergekommen wie heute.
* * *
Ich habe Wort gehalten, sagte er Barlachs Figuren. Ich habe zu ihr gestanden und mich verstellt. Ich habe auf die gleiche Art gelogen, wie sie es mir vorgemacht haben: durch Auslassung. Ihre Lügen enthielten so viele Auslassungen, daß ich, als sie schließlich zum Ende kamen, gar nichts anderes mehr hörte. Die Lügen der Spione: nicht aus Worten bestehend, sondern aus Hohlräumen, definiert durch das Ungesagte.
Issa ist kein Muslim und war auch nie einer, haben sie in den Raum gestellt.
Issa war nie ein tschetschenischer Aktivist. Er war nie irgendeine Art von Aktivist, haben sie in den Raum gestellt.
Issa ist genauso ein durchschnittlicher, stinknormaler Spionssohn wie ich, unterwegs hierher, um sein schmutziges Erbe von mir zu fordern, haben sie in den Raum gestellt.
Und ganz gewißlich ist er nicht gefoltert oder inhaftiert worden und auch nicht aus dem Gefängnis entflohen, Gott bewahre!
Und es besteht nicht die entfernteste Verbindung zu einem mutmaßlichen islamistischen Terroristen, der von den Schweden gesucht wird und auf jeder Polizeiwebsite zur Fahndung ausgeschrieben ist – einschließlich, muß man doch annehmen, der Website des allwissenden britischen Geheimdiensts.
Nichts von
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