Marionetten
Moskau. Während er sich einen wohlverdienten Kurzurlaub von der tschetschenischen Front gönnte.«
Auftritt Foreman als Figur in seiner eigenen Erzählung. Seine Züge waren weich geworden, so weich wie die bekennerhafte Stimme. So daß Brue nicht anders konnte als eintreten in seine fremde Gefühlswelt, und Annabel auf ihrem Fahrrad mußte mit.
»Das sind so die Erlebnisse in unserer Branche, Tommy, da würde man in vorgerücktem Alter seine rechte Hand dafür geben, einmal darüber reden zu dürfen, und nie darf man es. Aber das ist bei Ihnen wahrscheinlich ganz ähnlich …«
Brue erwiderte etwas Abgedroschenes.
»Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mit Ihrem Mann in einer schwiemeligen kleinen Wohnung am Stadtrand von Moskau verschanzt. Offiziell sind Sie Botschaftsangehöriger, und Sie haben den ganzen Tag gebraucht, um unerkannt hinzukommen. Sie haben maximal eine Stunde mit ihm, und Sie horchen nach Schritten auf der Treppe. Er schiebt Ihnen einen Mikrofilm über den Tisch, und Sie versuchen ihn gleichzeitig auszuforschen und zu instruieren. ›Warum hat General Soundso das zu dir gesagt? Was ist mit dem Raketenstützpunkt in Soundso? Wie kommst du mit unserem neuen Chiffrierverfahren zurecht?‹ Aber Ihr Mann hört nicht zu. Ihm laufen die Tränen übers Gesicht, und er brennt darauf, Ihnen von diesem wunderbaren Mädchen zu erzählen, das er vergewaltigt hat. Und jetzt, o Jubel, liebt sie ihn und ist schwanger von ihm. Und er ist der glücklichste Mann der Welt. Er hat ja nicht geahnt, daß es so etwas gibt. Also freue ich mich für ihn. Wir trinken auf sie. Auf Jelena oder wie immer sie heißt. Und auf das Kind, möge Gott es segnen. Das ist mein Job, oder war es. Zu fünfzig Prozent Spion, zu hundert Beichtvater. Sieben Monate hab ich noch. Was ich dann mache, weiß der liebe Gott allein. Die privaten Sicherheitsdienste stehen schon Schlange, aber ich schwelge lieber in alten Zeiten«, fügte er vertrauensvoll hinzu, mit einem melancholischen Lächeln, das Brue pflichtschuldig zu erwidern versuchte.
»Tja, das war also Wladimirs große Liebe«, hob Foreman wieder an, fröhlicher jetzt. »Und wie jede große Liebe währte auch sie nicht lang. Sobald der Sohn zur Welt gekommen war, schleuste ihre Familie einen ihrer Brüder aufs Kasernengelände, um sie zu töten. Wladimir war untröstlich, wie man sich vorstellen kann. Als seine Einheit nach Moskau zurückbeordert und aufgelöst wurde, nahm er den Jungen mit. Die amtierende Ehefrau in Moskau war nicht gerade erfreut. Hat Wladimir klipp und klar gesagt, daß sie keinen Tschetschenenbankert aufs Auge gedrückt haben will. Aber Wladimir hat ihn nicht fallenlassen. Er liebte nun mal den Jungen, den ihm die Liebe seines Lebens geboren hatte, und er setzte ihn zum Erben seines Schwarzgeldkontos ein, und nichts auf der Welt konnte daran etwas ändern.«
War die Geschichte damit zu Ende? Foremans Brauen hoben sich, und er zuckte die Achseln, wie um zu sagen: So spielt das Leben eben, was soll man machen?
»Und jetzt?« fragte Brue.
»Und jetzt hat das große Rad der Geschichte seine Umdrehung vollendet, Tommy. Die Vergangenheit ist vergangen, Wladimirs Sohn ist zum Manne herangereift und hat sich aufgemacht, um bei dem Sohn von Edward Amadeus vorstellig zu werden und seinen Anteil zu fordern.«
* * *
Diesmal hatten sie mit Brue kein so leichtes Spiel, wie sie sich offenbar vorgestellt hatten. Er wuchs hinein in seine Rolle, worin immer die Rolle bestand.
»Entschuldigen Sie«, begann er nach einigen Sekunden nüchterner Reflexion, wie sie einem Bankier zukamen. »Ich will ja kein Spielverderber sein, aber ich bin mir ziemlich sicher, wenn ich jetzt zurück in die Bank fahren und mir die Lipizzanerakten vornehmen würde, um nachzusehen, welcher Kunde am ehesten der Beschreibung entspricht, die Sie mir gegeben haben, einschließlich der Vorkehrungen, die er für seine Erben getroffen hat …«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Aus einer der Taschen seines Jacketts brachte Foreman einen weißen Umschlag zum Vorschein, der Brue an die weißen Schächtelchen mit klebriger, in Spitzenpapier gewickelter Hochzeitstorte erinnerte, die Georgie seinerzeit an ferne Freunde verschickt hatte, um ihre kurze Ehe mit einem fünfzigjährigen Künstler namens Miliard zu feiern. In dem Umschlag lag ein Kärtchen, auf dem mit Kugelschreiber der Name KARPOW geschrieben stand. Auf der Rückseite stand Lipizzaner.
»Sagt Ihnen das etwas?« fragte Foreman.
»Der
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