Marissa Blumenthal 02 - Trauma
gab Marissa zurück. »Jetzt sieht es aber so aus, daß die Geschäfte bei dir an erster Stelle stehen.«
Robert stellte sich vor den Spiegel und band sich die Krawatte.
»Das war meine Einstellung, bevor wir erfuhren, daß du keine Kinder bekommen kannst, jedenfalls nicht auf normale Weise.« Er hielt inne, weil er merkte, daß er einen Fehler begangen hatte, und wandte den Kopf, um nach seiner Frau zu schauen. An ihrem Gesicht las er ab, daß die beiläufig hingeworfene Bemerkung ihre Wirkung erzielt hatte. Er versuchte, sie zurückzunehmen. »Ich meine natürlich, bevor wir erfuhren, daß wir auf normale Weise keine Kinder bekommen können.«
Aber seine Berichtigung konnte den Schlag nicht mildern. In Sekundenschnelle verwandelte sich Marissas Wut in Verzweiflung. Wieder kamen ihr die Tränen, und sie begann zu schluchzen.
Robert wollte ihr begütigend die Hand auf die Schulter legen. Doch sie entzog sich ihm und rannte ins Badezimmer. Als sie dabei war, die Tür zu schließen, schob sich Robert hinein, nahm sie in die Arme und drückte sein Gesicht in ihre Halsbeuge.
Marissa weinte. Ihr ganzer Körper bebte. Sie brauchte volle zehn Minuten, um sich zu beruhigen. Sie wußte, daß ihr Verhalten überhaupt nicht ihrer Natur entsprach. Zweifellos trugen die Hormone, die sie einnahm, zu ihrem labilen Gemütszustand bei. Aber diese Erkenntnis half ihr auch nicht weiter. Sie brauchte Zeit, um sich wieder zu fassen.
Robert ließ sie kurz los, um ihr ein Papiertuch zu bringen. Sie schnaubte sich die Nase und drängte die Tränen zurück. Zu ihrem Zorn und Kummer gesellte sich nun auch Beschämung. Mit zitternder Stimme räumte sie vor Robert ein, daß es an ihr lag, wenn ihre Ehe kinderlos blieb.
»Es ist mir egal, wenn wir keine Kinder bekommen«, sagte Robert im Bestreben, sie zu trösten. »Davon geht die Welt nicht unter.«
Marissa betrachtete ihn mißtrauisch. »Das glaube ich dir nicht«, sagte sie. »Du hast immer Kinder haben wollen, das hast du mir selber gesagt. Und da ich weiß, daß es an mir liegt, kannst du ruhig ehrlich deine Gefühle aussprechen.
Ich werde eher damit fertig, wenn du aufrichtig bist, als wenn du mir etwas vorlügst. Sag mir ruhig, daß es dich zornig macht!«
»Ich bin nicht zornig, ich bin nur enttäuscht«, sagte Robert und sah Marissa an. Sie erwiderte seinen Blick. »Na ja, vielleicht war ich mal kurze Zeit zornig«, gab er dann zu.
»Ich habe dein frisches Hemd versaut«, rief Marissa.
Robert sah auf seine Brust herab. Sowohl auf dem Hemd wie auf der halbgebundenen Krawatte waren feuchte Spuren von Marissas Tränen. Er holte tief Luft. »Das macht doch nichts. Ich ziehe einfach ein anderes an.«
Marissa sah im Spiegel ihre geröteten und geschwollenen Augen. Wie sollte sie nur ihr Gesicht anständig zurechtmachen? Es erschien ihr aussichtslos. Bedrückt schlüpfte sie in die Duschkabine.
Eine Viertelstunde später fühlte sich Marissa bedeutend ruhiger. Es war, als hätten heißes Wasser und Seife nicht nur ihren Körper gereinigt, sondern auch ihrer Seele wohlgetan. Sie ging ins Schlafzimmer zurück, wobei sie sich die Haare abtrocknete, und sah, daß Robert schon fast fertig war.
»Entschuldige, daß ich mich so hysterisch aufgeführt habe«, sagte sie. »Aber ich konnte nicht anders. In letzter Zeit scheine ich auf alles in übertriebener Weise zu reagieren. Ich hätte nicht gleich aus der Haut fahren sollen, nur weil du nicht dazu aufgelegt bist, zum soundsovielten Mal in die Klinik zu fahren.«
»Nein, ich habe mich zu entschuldigen«, sagte Robert. »Es tut mir leid, daß ich meiner Enttäuschung über diese ganze Sache so idiotisch freien Lauf gelassen habe. Während du geduscht hast, habe ich mich anders besonnen. Ich fahre nun doch mit dir in die Klinik. Ich habe deswegen schon im Büro angerufen.«
Marissas Lebensgeister hoben sich zum erstenmal seit vielen Wochen. »Ich danke dir«, sagte sie. Sie hatte das Bedürfnis, Robert in die Arme zu schließen. Doch irgend etwas hielt sie davon ab. Befürchtete sie vielleicht, daß er sie zurückweisen würde? Schließlich sah sie jetzt kaum besonders gut aus. Sie war sich bewußt, daß sich ihre Beziehungen im Laufe der Therapie ihrer Unfruchtbarkeit verändert hatten. Ebenso wie ihre Figur, und beides nicht zum Besseren. Sie seufzte. »Manchmal denke ich, daß diese Behandlung meine Kräfte übersteigt. Versteh mich nicht falsch! Ich habe keinen innigeren Wunsch, als daß wir beide ein Baby bekämen. Aber ich
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