Marissa Blumenthal 02 - Trauma
stand: DER ERFOLG BLEIBT NUR AUS, WENN SIE SICH NICHT LANGE GENUG BEMÜHEN! Es gab keine Wahl, sie mußte die Sache zu Ende führen.
Bei allem Pessimismus vermochte sich Marissa, wenn sie die Augen schloß, noch immer vorzustellen, daß sie einmal ein winziges Baby in den Armen wiegen würde. »Hab Geduld, Kleines!« flüsterte sie vor sich hin. Im tiefsten Herzen wußte sie, daß alle Bemühungen belohnt werden würden, wenn das Kind einmal da wäre. Eigentlich durfte sie sich solchen Gedanken gar nicht hingeben. Doch Marissa kam mehr und mehr zu der Einsicht, daß dies der einzige Weg war, ihre Ehe noch zu retten.
2
19. März 1990
9.15 Uhr vormittags
Robert und Marissa durchquerten den glasumschlossenen Fußgängerüberweg, der das Hauptgebäude der Klinik mit der Krankenstation und der Notaufnahme verband, betraten den gepflasterten Hof und stiegen die Haupttreppe der Frauenklinik hinauf. Die eigentümliche Farbe und das Muster des Granitbodens lenkten Marissas Gedanken darauf, wie oft sie diese Treppe schon hinaufgegangen war, um sich unzähligen »kleineren Eingriffen« zu unterziehen. Unwillkürlich wurden ihre Schritte langsamer, zweifellos verursacht durch die Erinnerung an den Schmerz von tausend Nadeleinstichen.
»Nun komm schon!« drängte Robert. Er hatte ihr plötzliches Zögern gespürt und nahm sie an die Hand. Dabei schaute er kurz auf seine Armbanduhr. Sie waren schon spät dran.
Marissa bemühte sich, mit ihm Schritt zu halten. Die heutige Eizellenentnahme würde bereits ihre vierte sein. Daher kannte sie genau die damit verbundenen Unannehmlichkeiten. Marissa fürchtete aber weniger die Schmerzen als vielmehr mögliche Komplikationen. Wer gleichzeitig Ärztin und Patientin war, der wußte um all die Dinge, die auf schreckliche Weise schiefgehen konnten. Im Geist ging sie die Liste der möglichen tödlichen Ausgänge durch und schauderte.
Jetzt waren Robert und Marissa im Inneren der Klinik.
Sie umschritten den Informationskiosk und steuerten direkt die IVF-Station im ersten Stock an. Diesen Weg hatten sie schon oft hinter sich gebracht, zumindest was Marissa betraf.
Sie kamen in das normalerweise von Stille erfüllte Wartezimmer mit seinem Luxusteppich und den üppigen Polstergarnituren. Hier bot sich ihnen ein unerwartetes Schauspiel.
»Ich lasse mich nicht länger abweisen!« schrie eine gutgekleidete, schlanke Frau. Marissa schätzte sie auf etwa Dreißig. In den Wartezimmern der Klinik hörte man selten jemand lauter als im Flüsterton
sprechen und schon gar nicht schreien. Das war so überraschend, als brüllte jemand in der Kirche.
»Mrs. Ziegler«, sagte die bestürzte Aufnahmeschwester, die auf dem Stuhl hinter ihrem Schreibtisch kauerte. »Ich muß doch sehr bitten!«
»Kommen Sie mir nicht mit Mrs. Ziegler!« schrie die Frau sie an.
»Das ist das drittemal, daß ich wegen meiner Untersuchungsergebnisse hier bin! Jetzt will ich sie endlich haben!«
Mrs. Ziegler streckte die Hand aus und fuhr damit über den Schreibtisch der Aufnahmeschwester. Schreibutensilien, Papiere, Bilderrahmen und Kaffeetassen krachten auf den Fußboden. Gläser zersprangen und Tongefäße zerschellten.
Von dem plötzlichen Ausbruch völlig überrascht, erstarrten die etwa ein Dutzend Patientinnen im Wartezimmer zu Ölgötzen. Die meisten vermieden es ängstlich, von der Szene, die sich in ihrer Gegenwart abspielte, Kenntnis zu nehmen, und hefteten den Blick geflissentlich auf ihre aufgeschlagenen Magazine.
Beim Klirren der zerspringenden Gläser zuckte Marissa zusammen. Sie mußte an den Radiowecker denken, den sie vor noch nicht mal einer halben Stunde hatte an die Wand werfen wollen. Es war erschreckend, in Mrs. Ziegler einer verwandten Seele zu begegnen. Denn schon mehrmals hatte sich Marissa gleich ihr in die Ecke abgeschoben gefühlt.
Ganz anders reagierte Robert. Er trat sofort einen Schritt vor und stellte sich zwischen Marissa und die hysterische Patientin. Er sah, daß Mrs. Ziegler Miene machte, um den Schreibtisch zu laufen, und befürchtete, daß sie die arme Aufnahmeschwester anfallen würde. Blitzschnell schoß er vor, packte Mrs. Ziegler um die Taille und hielt sie fest. »Beruhigen Sie sich doch!« sagte er zu ihr und hoffte, daß seine Stimme ebenso einschüchternd wie besänftigend klänge.
Als hätte Mrs. Ziegler ein solches Eingreifen erwartet, fuhr sie herum und holte in weitem Bogen mit ihrer recht umfangreichen GucciHandtasche aus. Sie traf Robert
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