Marissa Blumenthal 02 - Trauma
bereit, das alles auf mich zu nehmen, weil ich ein Kind, eine richtige Familie haben will. Ich will Mutter werden, und ich will, daß du Vater wirst. Ich will eine Familie haben.« Ohne es zu wollen, hatte Marissa allmählich die Stimme erhoben. Als sie den letzten Satz beendete, schrie sie praktisch.
»Wenn ich dich so schreien höre, bestärkt mich das nur in der Überzeugung, daß wir Schluß machen sollten«, sagte Robert. »Sieh uns doch beide an! Du bist hochgradig nervös, ich bin am Ende meiner Kraft. Du weißt, daß es noch andere Möglichkeiten gibt. Vielleicht sollten wir die einmal in Erwägung ziehen. Wir könnten uns mit unserer Kinderlosigkeit abfinden. Oder wir könnten an eine Adoption denken.«
»Ich begreife einfach nicht, daß du so etwas ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt vorbringst«, sagte Marissa scharf. »Heute vormittag sollen mir zum viertenmal Eizellen entnommen werden, ich bin bereit, Schmerzen und Risiko auf mich zu nehmen, und, ja, ich bin emotionell ein Wrack. Und du wählst gerade diesen Augenblick, um von einer Änderung unserer Strategie zu reden!«
Robert konnte seine Verärgerung nicht länger im Zaum halten. »Einen günstigen Zeitpunkt, die Frage der künstlichen Befruchtung zu besprechen, wird es nie geben. Dir gefällt es nicht, daß ich die Sache jetzt zur Sprache bringe, okay. Wann wäre denn ein besserer Zeitpunkt? Wenn du verrückt vor Angst bist, ob du diesmal schwanger werden wirst? Oder wenn du ganz niedergeschlagen bist, weil deine Periode wieder eingesetzt hat? Oder wenn du deinen Kummer gerade überwunden hast und einen neuen Zyklus beginnen willst? Sag es mir! Dann werde ich zu dem gewünschten Zeitpunkt mit dir darüber sprechen.«
Prüfend beobachtete Robert seine Frau. Sie wurde für ihn mehr und mehr zu einer Fremden. Sie war gefühlsmäßig unglaublich labil geworden und hatte beträchtlich an Körpergewicht zugenommen, vor allem im Gesicht, das geradezu aufgeschwemmt wirkte. Ihr Blick war so kühl, daß es ihm durch Mark und Bein ging. Ihre Augen waren so düster wie ihre Stimmung, und ihr Gesicht war gerötet, als hätte sie Fieber. Ja, sie erschien ihm wirklich wie eine Fremde. Oder noch schlimmer: heute kam sie ihm sogar wie eine unberechenbare
Hysterikerin vor. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn sie ihn plötzlich wie eine zornige Katze angesprungen hätte. Da war es am besten, den Rückzieher zu machen.
Er wich einige Schritte von ihr zurück und sagte: »Okay, du hast recht. Die Zeit zu einer solchen Diskussion ist schlecht gewählt. Entschuldige. Wir holen das an einem anderen Tag nach. Nun zieh dich fertig an, damit wir in die Klinik fahren können!« Kopfschüttelnd fuhr er fort: »Hoffentlich kann ich heute überhaupt Samen hervorbringen. So wie ich mich in letzter Zeit fühle, bin ich kaum dazu imstande. Das klappt nicht mehr von allein. Ich bin ja keine sechzehn mehr.«
Wortlos wandte sich Marissa ihrem Ankleideschrank zu. Sie fragte sich, was sie tun sollten, wenn er keinen Samenerguß zustande brachte. Sie hatte ja keine Ahnung, inwieweit die Verwendung des aufgetauten früheren Samens die Chancen auf eine erfolgreiche Befruchtung vermindern würde. Vermutlich in starkem Maße. Das war auch zum Teil der Grund, warum sie sich so aufgeregt hatte, als er sich anfangs weigerte, mit in die Klinik zu kommen, besonders nachdem es auch beim letzten Zyklus mit der In-Vitro-Fertilisation (IVF-Befruchtung der Eizelle im Reagenzglas) nicht geklappt hatte. Flüchtig schaute Marissa in den Spiegel, sah, wie sich ihre Wangen gerötet hatten, und begriff, wie sehr diese Besessenheit von ihr schon Besitz genommen hatte. Und dieser beinahe fanatische Blick! Ihr war, als schaute sie in die Augen einer Fremden.
Während Marissa ihr Kleid anlegte, ermahnte sie sich, ihre Hoffnungen nach so vielen Enttäuschungen nicht zu hoch zu schrauben. Es gab eine Reihe von Stadien, in denen die Sache schiefgehen konnte. Zuerst mußte sie die Eizellen produzieren, und dann mußten sie ihr entnommen wurden, bevor der Eisprung spontan einsetzte. Dann mußte die Befruchtung gelingen. Und schließlich mußten ihr die Embryos in die Gebärmutter übertragen werden. Wenn das alles wie vorgesehen erfolgreich ablief, würde sie schwanger sein. Danach aber würde sie ständig die Angst vor einer Fehlgeburt quälen. Oh, es gab so viele Möglichkeiten für ein Mißlingen! Doch nun tauchte vor ihrem geistigen Auge der Spruch auf, der an der Wand des Warte-
saals in der IVF-Station
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