Marissa Blumenthal 02 - Trauma
fragte Marissa.
»Ich weiß gar nicht, was wir denen erzählen sollten«, sagte Tristan.
»Außerdem können die uns bei der Suche nach den Wing Sin bestimmt nicht helfen.«
»Wir stecken sicherlich bis über die Ohren im Schlamassel«, sagte Marissa.
»Das können Sie laut sagen.« Tristan drehte sich suchend um. »Wo zum Teufel bleibt der Mann mit unserem Tee?«
Marissa teilte seine Ungeduld nicht. Sie war auf den Tee nicht besonders scharf.
Tristan stand auf. »Hongkong ist eine Stadt der Extreme«, sagte er.
»Manche Bestellungen werden im Handumdrehen erledigt, und andere dauern ewig.« Er ging zu der Tür, hinter der der Inhaber verschwunden war, teilte den Perlenvorhang und spähte hinein. Dann kam er an den Tisch zurück und nahm wieder Platz.
»Da sind ein Haufen abgerissener alter Knaben drin, die Pfeife rauchen«, berichtete er. »Anscheinend sind wir in eine dieser altmodischen Opiumhöhlen gestolpert, bei denen die Behörden wegen einer Handvoll alter Rauschgiftsüchtiger ein Auge zudrücken. Opium ist eine der ekelhaftesten und verachtenswertesten Hinterlassenschaften der britischen Kolonialgeschichte, aber es bildete auch die Grundlage für die Entwicklung Hongkongs.«
Marissa interessierte sich im Augenblick nicht für den geschichtlichen Hintergrund, sondern fragte: »Wollen wir gehen?«
»Wenn Sie bereit sind.«
»Wie kommen wir aus diesem Viertel wieder raus?« fragte Marissa.
»Wir schleichen uns durch die Seitengassen, bis wir an die große Ausfallstraße kommen, die wir vorhin überquert haben«, sagte Tristan. »Dann nehmen wir ein Taxi.«
»Na, dann los!« sagte Marissa. »Je eher ich wieder im Hotel bin, um so besser geht es mir.«
Tristan rückte den Tisch ab, so daß sie aufstehen konnte. Als sie auf den Beinen stand, reckte sie die schmerzenden Glieder und ging in gebückter Haltung durch den Perlenvorhang. Tristan folgte und prallte draußen mit ihr zusammen, denn sie war plötzlich wie angewurzelt stehengeblieben. Direkt vor dem Teehaus hielt eine schwarze Limousine.
In der Nähe lungerten die drei Männer in dunkelblauen Anzügen in verschiedenen lässigen Posen herum. Als der Mann am Bug des Fahrzeugs Tristan und Marissa erblickte, richtete er sich auf. Marissa erkannte ihn wieder: er hatte vorhin Freddies Platz eingenommen. Der stupsnasige Revolver war nicht zu sehen. Statt dessen hatte er eine noch viel gefährlicher aussehende Maschinenpistole an der Hüfte baumeln.
Tristan packte Marissa am Handgelenk und wollte sie wieder in das Lokal ziehen. Doch die schwere Holztür wurde ihnen vor der Nase zugeknallt. Er wollte sie schon mit Gewalt aufbrechen, doch da hörte er, wie innen Schlösser einschnappten.
Resigniert drehte Tristan sich zur Straße um.
»Bitte«, sagte der Mann mit der Maschinenpistole und zeigte auf das Wagenheck. Am Ellbogen seines Jackettärmels sah Tristan einen langen Riß. Wahrscheinlich passiert, als er ihn niedergeschlagen hatte.
Tristan und Marissa rührten sich nicht vom Fleck. Doch der Mann mit der Waffe duldete keine Verzögerung mehr. Ein kurzer Feuerstoß aus seiner Maschinenpistole auf die Straße verlieh seinen Worten Nachdruck. Nach allen Seiten surrten die Querschläger über die Straße und veranlaßten die Mah-Jongg-Spieler, sich Hals über Kopf
in Deckung zu werfen. Der Schütze war ein Mann, dem ein Menschenleben wenig galt.
»Wir sollen in den Kofferraum steigen?« fragte Tristan.
»Bitte«, sagte der Mann mit der Maschinenpistole.
»Das kann ja gemütlich werden«, sagte Tristan. Er stieg als erster in das enge Verlies. Beim Liegen mußte er sich krumm machen. Marissa folgte ihm zögernd und preßte sich dann dicht an ihn.
»Das erstemal, daß ich in einem Kofferraum eine Frau im Arm halte«, sagte Tristan. Er hatte den rechten Arm um Marissas Körper gelegt.
»Können Sie denn nicht einmal ernst bleiben?« sagte Marissa.
»Wie zwei Salzheringe in einer Konservendose«, sagte Tristan. Sie hörten, wie der Motor angelassen wurde. Dann sprang die Limousine mit einem Satz nach vorn und fuhr die enge Gasse entlang.
»Man sagt ›wie die Ölsardinen‹«, korrigierte Marissa.
»Nicht da, wo ich groß geworden bin«, sagte Tristan.
»Tris, ich habe Angst«, sagte Marissa und kämpfte mit den Tränen.
»Wenn wir nun hier drin ersticken? Ich kriege immer Platzangst, wenn es so eng ist.«
»Machen Sie die Augen zu!« riet ihr Tristan. »Das wird Ihnen guttun. Und ganz ruhig atmen! Ersticken kann man hier nicht. Sorgen macht
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