Marissa Blumenthal 02 - Trauma
diese Ruhe nehmen. Fühlen Sie mal, wie ich zittere!« Marissa legte ihm die Hand auf den Unterarm.
»Sie zittern ja wirklich!« sagte Tristan. »Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen das nicht ersparen konnte! Aber wenigstens haben wir nun doch Kontakt aufgenommen. Vielleicht läuft von jetzt an alles besser. Natürlich vorausgesetzt, daß Sie die Sache weiter verfolgen wollen.«
»Ich glaube schon«, sagte Marissa, aber es klang unsicher. »Nur eine Verfolgungsjagd halte ich nicht mehr durch.«
Sie gingen zum U-Bahnhof hinunter, der zu ihrer Freude hell und sauber war. Die Fahrt bis zum Bahnhof Tsim Sha Tsui verging schnell, angenehm und was das beste war ohne Zwischenfall.
Vom U-Bahnhof war es bis zum Hotel nur ein kurzer Fußweg. Als sie unterwegs an einem der vielen Juwelierläden vorbeikamen, bemerkte Marissa scherzhaft, daß sie ja eigentlich schon wieder neue Armbanduhren brauchten.
»Wenn das so weitergeht«, sagte Tristan, »werden die dauernden Uhrenkäufe noch die teuerste Ausgabe der ganzen Reise.«
Als sie vor einer roten Ampel stehenbleiben mußten, nahm Tristan ihren Arm und beugte sich zu ihrem Ohr herunter. »Ich möchte Ihnen auf keinen Fall schon wieder einen Schreck einjagen, aber ich glaube, wir werden verfolgt. Hinter uns sind zwei Männer, genauso angezogen wie die Entführer von vorhin. Sie waren schon in der U-Bahn dabei.«
»O nein!« sagte sie. »Was machen wir jetzt? Wegrennen kann ich nicht mehr.«
Tristan richtete sich auf. »Keine Aufregung!« sagte er. »Wir rennen ja nicht weg. Diesmal unternehmen wir gar nichts. Der Mann im weißen Anzug hat uns doch gesagt, daß er uns beschatten lassen will. Wahrscheinlich sind die Männer hinter uns seine Leute. Wir dürfen jetzt nur keinen Polizisten ansprechen.«
Marissa überblickte die belebte Kreuzung. Im Gegensatz zu vorhin waren hier viele Polizisten zu sehen. Selbstsicher gingen sie in ihren schmucken blauen Uniformen auf den Straßen Streife. »Wo haben die Kerle nur gesteckt, als wir sie brauchten?« fragte Marissa.
»Das ist hier auch ein Touristenviertel«, sagte Tristan.
Vor dem Hotel blieben sie kurz stehen. Der Portier verbeugte sich höflich und öffnete ihnen die Tür. »Ich möchte noch zum Kassenschalter«, sagte Tristan, »und mir etwas Geld aus dem Safe geben lassen. Danach würde ich gern den Geschäftsführer k.o. schlagen. Ich habe das bestimmte Gefühl, daß er der Triade einen Tip gegeben hat. Und obendrein hat er noch zwanzig Dollar Trinkgeld von mir angenommen!«
»Machen Sie hier bloß keine Szene!« beschwor ihn Marissa, und um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, drückte sie seinen Arm. Sie kannte Tristan ja nun so gut, daß es sie nicht überrascht hätte, wenn er hingegangen und den Mann wirklich k.o. geschlagen hätte.
Nebeneinander traten sie an den marmornen Empfangsschalter. Während Tristan sich bemühte, einen der Hotelangestellten auf sich aufmerksam zu machen, sah sich Marissa im Foyer um. Wie üblich war es voller Menschen. Der Nachmittagstee konnte auf eine mehr als 50jährige Tradition im eleganten Foyer des Peninsula zurückblicken. An den gedeckten Tischen saßen schmuckbeladene Frauen und geschniegelte Männer. Weißbehandschuhte Kellner sausten hin und her zwischen Küche und Tischen und rollten Wagen mit Konfekt und süßen Backwaren durch die Menge. Den letzten Hauch zu der eleganten Atmosphäre steuerte klassische Klaviermusik bei.
Plötzlich kniff Marissa ihren Begleiter so fest in den Arm, daß er zusammenzuckte. »Tristan«, sagte Marissa aufgeregt. »Da kommt ein Mann auf uns zu. Ich glaube, ich kenne ihn.«
Im ersten Moment war der Mann für Marissa nur ein Gesicht in der Menge gewesen. Aber ein Reflex veranlaßte sie, noch einmal genauer hinzuschauen. Irgend etwas an seinem Gesicht und der Art, wie er das kohlrabenschwarze Haar trug, riefen ihre Erinnerung wach. Sie hatte beobachtet, wie er die Zeitung weglegte und aufstand. Sie hatte gesehen, wie er sie erblickte und dann losging. Schließlich war ihr aufgefallen, daß er mit der Hand in die innere Brusttasche seines Jacketts faßte. In diesem Augenblick hatte sie Tristan in den Arm gekniffen.
»Wen meinen Sie denn, meine Liebe?« fragte Tristan.
»Er kommt gerade auf uns zu«, flüsterte Marissa. »Der Chinese im grauen Anzug. Ich habe ihn schon einmal gesehen. Es ist einer der beiden Männer, die Fischköder ins Wasser geschüttet haben, an dem Tag, als Wendy starb!«
Tristans Blick suchte das Foyer ab. Es waren so viele
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