Marissa Blumenthal 02 - Trauma
mich verrückt«, gestand sie. »Ich weiß nicht, ob ich das noch länger aushalte.«
»Ein weiterer Grund, auf die Dschunke zu gehen«, sagte Tristan.
»Je eher wir die Lösung der rätselhaften Angelegenheit finden, um so besser. Dann können wir hier abreisen, und von uns aus können sie Hongkong an die Chinesen zurückgeben.«
Der Fahrstuhl hielt im fünften Stock, und sie stiegen aus. Langsam gingen sie auf ihre Zimmer zu, immer noch das Für und Wider einer Fahrt mit dem Tanka-Kapitän abwägend.
»Wo ist denn der Etagenkellner?« fragte Marissa beim Näherkommen. Sie hatte sich bereits daran gewöhnt, daß der Mann jedesmal auf geheimnisvolle Weise auftauchte, wenn sie in dem Stockwerk ankamen.
»Das ist wirklich merkwürdig«, sagte Tristan und spähte nach beiden Richtungen den Flur entlang. Dabei entdeckte er, daß am Türknopf seines Zimmers das Schild »Bitte nicht stören« hing. »Verdammt, was ist denn das? Warum hängt das Schild bei mir an der Tür?«
»Irgendwas stimmt hier nicht«, sagte Marissa.
Tristan trat von seiner Zimmertür zurück. »Du hast recht«, sagte er, drehte sich um und ging zum Fahrstuhl zurück. Marissa folgte ihm, wobei sie nervöse Blicke über die Schulter hinter sich warf.
Sie schauten in den kleinen Kabuff des Etagenkellners. Er war leer. In der Ecke sahen sie einen Teekessel auf einer heißen Kochplatte. Der Teekessel war glühend rot, das Wasser darin längst verkocht.
»Hier stimmt wirklich etwas nicht«, sagte Tristan. Er ging wieder zum Fahrstuhl, nahm den Hörer des Hausanschlusses ab und verlangte nach der Sicherheitsabteilung. Zwei Minuten später öffneten sich die Fahrstuhltüren, und zwei Sicherheitsbeamte traten heraus. Der eine war ein muskulöser Chinese, der andere ein korpulenter Engländer.
Das Erscheinen der Sicherheitsbeamten erinnerte Marissa und Tristan an den Zwischenfall gestern im Foyer. Sie sahen zu, wie die beiden Männer mit ihrem Passepartout-Schlüssel Tristans Zimmertür aufschlossen.
Im Zimmer war es still. Nur im Badezimmer plätscherte Wasser in die Wanne. Die Verbindungstür zu Zimmer 604 stand offen. Die Bettwäsche war abgezogen. Der Wäschekarren des Zimmermädchens war zur Seite geschoben.
Der Chinese ging als erster hinein, nach ihm der Engländer. Marissa und Tristan blieben auf der Schwelle stehen. Der chinesische Sicherheitsbeamte ging auf das Badezimmer zu, während sein Kollege einen Blick in Nr. 604 warf.
»George!« rief der Chinese in dringlichem Ton. Rasch ging der Engländer zu seinem Partner. Beide standen an der Badezimmertür und wurden blaß. Dann bedeutete der Engländer Marissa und Tristan, sie sollten stehenbleiben, wo sie waren. Zur Erklärung sagte er, es habe einen Todesfall gegeben.
Deutlich erschüttert wandten die beiden Sicherheitsbeamten dem Badezimmer den Rücken und gingen in Nr. 604. Marissa und Tristan wechselten einen betroffenen Blick.
»Mein Gott!« rief der Engländer.
Gleich darauf kamen die beiden Männer zurück in Nr. 606. Der Engländer trat an den Schreibtisch, nahm den Telefonhörer mit einem Tuch ab, rief den Geschäftsführer an und meldete ihm, sie hätten zwei Morde entdeckt. Die Toten seien ein Zimmermädchen und anscheinend ein Hotelgast.
Inzwischen war der chinesische Beamte zu Marissa und Tristan gegangen. »Leider liegen hier zwei Tote«, sagte er. »Bitte, fassen Sie nichts an! Den Mann im anderen Zimmer haben wir noch nicht identifiziert.« Dann sagte er zu Tristan: »Vielleicht, Sir, könnten Sie einmal nachsehen, ob es jemand ist, den Sie kennen.«
Tristan setzte sich in Bewegung, doch Marissa hielt ihn am Arm fest. »Ich bin Ärztin«, sagte sie zu dem Sicherheitsbeamten. »Ich kann mir den Mann auch ansehen.«
Der Chinese zuckte die Achseln. »Wie Sie wünschen, Madam.« Daraufhin gingen Marissa und Tristan, geführt von dem Sicherheitsbeamten, ins Zimmer 604.
Als Marissa den Toten erblickte, stieß sie einen leisen Schrei aus und fuhr sich entsetzt mit der Hand an den Mund. Das Opfer lag auf
dem Rücken und starrte aus blicklosen Augen an die Decke. Zwei Löcher waren in seiner Stirn. Auf dem Teppich hatte sich hinter dem Kopf eine kreisrunde dunkle Blutlache gebildet.
»Es ist Robert!« stieß Marissa keuchend hervor. »Es ist mein Mann Robert!«
Tristan nahm Marissa in die Arme und zog sie von dem grauenhaften Anblick fort.
Dann hörten sie ein Klopfen aus dem Schrank.
Der Chinese rief nach seinem englischen Kollegen. Der stürzte ins Zimmer. Der Chinese
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