Marissa Blumenthal 02 - Trauma
der Kraft des mit Druck herausgepreßten Wassers zuckte der Verschluß wild hin und her.
Mit Mühe konnte sich Marissa vor dem in alle Richtungen herausschießenden Wasserstrahl in Sicherheit bringen. In diesem Augenblick entdeckte Wendy die Alarmeinrichtung neben dem Glasverschlag. Sie zog den Hebel herunter, der das Sprinklersystem auslöste und gleichzeitig Feueralarm gab. Der Alarm schrillte in der Feuerwehrwache von Cambridge los und unterbrach eine hart umkämpfte Pokerpartie.
Das Schluchzen der beiden Frauen hielt schon seit langer Zeit an. So peinlich es Marissa und Wendy war, ihren Emotionen so freien Lauf zu lassen, sie konnten nichts dagegen tun. Sie hatten die ganze Gefühlsskala von Entsetzen über Erleichterung bis zur Demütigung durchlaufen, da ließen sich die Tränenfluten nicht länger zurückhalten. Für beide war es das schlimmste Erlebnis ihres ganzen Lebens gewesen, das sie nie vergessen würden.
Sie saßen auf Holzstühlen voller Einkerbungen, von denen sich der Lack schälte wie die Haut bei einem schweren Sonnenbrand. Die Stühle standen mitten in einem ziemlich leeren, schmutzigen Saal, in dem Abfall herumlag. Es stank nach Alkohol und getrocknetem Erbrochenem. Das einzige Bild an der Wand zeigte das humorlose Gesicht von Michael Dukakis.
Ihnen gegenüber saßen Robert und Gustave. Auf einem Stuhl am Fenster balancierte Roberts ständiger Anwalt George Freeborn eine Aktenmappe aus Alligatorleder auf dem Schoß. Es war 2.23 Uhr nachts. Sie befanden sich im Bezirksgericht.
Gerade als Marissa dabei war, die Fassung zurückzugewinnen, sprudelten bei ihr aufs neue die Tränen.
»Nimm dich doch zusammen!« sagte Robert.
Marissa schaute zu Wendy hin, die mit gesenktem Kopf dasaß und ein Papiertuch vors Gesicht hielt. Von Zeit zu Zeit sah man, wie ihre Schultern zuckten. Gustave legte ihr die Hand auf die Schulter.
Am Konferenztisch in der Mitte des Saals saß eine etwa 45jährige Frau, die nicht mit sich spaßen ließ. Sie war, wie sie bereits allen mitgeteilt hatte, wenig erbaut davon, hier sitzen zu müssen. Man hatte sie nämlich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt. Vor sich hatte sie eins der vielen Formulare, die in dieser Nacht auszufüllen waren. Sie schrieb mit übertrieben starken Federstrichen.
Jetzt schaute die Frau auf ihre Armbanduhr und hob den Kopf. »Wo bleibt denn der Kautionsbürge?« fragte sie.
»Man hat ihn schon angerufen«, versicherte ihr Mr. Freeborn. »Er wird bestimmt jeden Augenblick hier sein.«
»Wenn nicht, dann kommen die beiden Damen wieder in Haft«, drohte die Richterin. »Auch wenn sie sich einen hochbezahlten Anwalt leisten können, so bedeutet das noch lange nicht, daß sie vom Gesetz bevorzugt behandelt werden.«
»Selbstverständlich nicht«, stimmte ihr Mr. Freeborn zu. »Aber der Kautionsbürge wird sofort hier sein, ich habe selber mit ihm gesprochen.«
Marissa durchlief ein Schauer. Sie war noch nie zuvor im Gefängnis gewesen und wollte nicht mehr dorthin zurück. Die Erlebnisse dieser Nacht hatten ihren Bedarf gedeckt. Man hatte ihr sogar Handschellen angelegt und sie einer Leibesvisitation unterzogen.
Als die Feuerwehr in der Frauenklinik eintraf, waren Wendy und sie noch vor Freude außer sich gewesen. Der wild hin und her zuckende Wasserschlauch hatte ihnen den Wachmann erfolgreich vom Leibe gehalten. Aber mit der Feuerwehr war auch die Polizei gekommen, und die schenkte dem Wachmann Gehör. Schließlich hatte
man Marissa und Wendy festgenommen und in Handschellen abgeführt.
Zuerst wurden sie zur Polizeistation Cambridge gebracht, wo man sie zum zweitenmal über ihre Rechte belehrte, sie ins Wachbuch eintrug, fotografierte und ihnen die Fingerabdrücke abnahm. Man erlaubte ihnen noch, ihre Ehemänner anzurufen. Danach wurden sie in eine Arrestzelle gesteckt. Dort mutete man ihnen sogar zu, die freistehende Toilette zu benutzen.
Später holte man Marissa und Wendy aus der Arrestzelle der Polizeistation, legte ihnen wieder Handschellen an und überführte sie ins Bezirksgericht Middlesex, wo sie in eine noch viel düsterer aussehende Zelle gesperrt wurden. Hier gab man ihnen trockene Gefängniskleidung, da ihre eigenen Kleider völlig durchnäßt waren.
Die Richterin mußte noch weitere zehn Minuten warten, bis der Kautionsbürge eintraf. Es war ein übergewichtiger Mann mit beginnender Glatze, der eine Vinyl-Aktentasche bei sich hatte.
Er ging geradewegs auf den Richtertisch zu und stellte die Aktentasche mit einem dumpfen
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