Marissa Blumenthal 02 - Trauma
Sozialversicherungsnummern.
»Das sieht vielversprechend aus«, sagte Wendy und machte sich daran, die Liste auszudrucken.
Bisher war im Ultraschallzimmer kein anderes Geräusch zu vernehmen gewesen als das kaum hörbare Klicken der KeyboardTasten. Doch gerade als Wendy die Print-Taste drücken wollte, hörte Marissa, wie nicht allzu weit entfernt eine Tür geöffnet wurde.
»Wendy«, flüsterte sie. »Hast du das gehört?«
Wendy reagierte sofort und schaltete sowohl das ComputerTerminal wie auch das Licht aus. Jetzt umgab sie völlige Dunkelheit. Minutenlang horchten die beiden Frauen erschrocken auf das leises-
te Geräusch. Alle ihre vorangegangenen Befürchtungen hatten sich in diesem einzigen Augenblick verdichtet. Mit angehaltenem Atem hör-
ten sie das Geräusch eines Schalters, der den Eiskompressor in einem Labor in Gang setzte. So angestrengt lauschten sie, daß sie sogar einen Bus durch die St. Auburn Street, einen ganzen Häuserblock entfernt, fahren hörten.
Im Dunkeln fanden sich ihre Hände. Sie ließen sich nicht mehr los. Das machte ihnen ein ganz klein bißchen Mut. So vergingen zähe fünf Minuten.
Schließlich fragte Wendy in kaum hörbarem Flüsterton: »Bist du ganz sicher, daß du eine Tür gehört hast?«
»Ich glaube schon«, sagte Marissa.
»Dann müssen wir sofort hier raus«, sagte Wendy. »Ich habe ganz plötzlich eine schreckliche Vorahnung.«
»Ja, gut«, sagte Marissa. »Aber behalte ja die Ruhe!« Das fiel ihr allerdings selber schwer. »Gehen wir zur Tür!«
Hand in Hand und ohne Licht anzumachen tasteten sie sich, die freien Arme suchend vorgestreckt, voller Angst zentimeterweise vorwärts. So kamen sie mit ganz kleinen Schritten weiter, bis sie die Wand erreichten. An ihr entlang ging es bis zu der Tür, die auf den engen Vorraum führte.
So lautlos wie möglich öffnete Marissa die Tür, zuerst nur einen Spalt, dann weiter. Am anderen Ende des Vorraums sahen sie durch die Fenster des Warteraums schwaches Licht sickern.
»Mein Gott!« sagte Marissa. »Die Tür zum Warteraum ist auf. Ich weiß genau, daß ich sie zugemacht habe.«
»Was sollen wir jetzt machen?« fragte Wendy zaghaft.
»Wir müssen zur Wendeltreppe«, sagte Marissa.
Doch sie fühlten sich wie gelähmt, kamen zu keinem Entschluß und ließen mehrere Minuten verstreichen. Immerhin hörten sie keine weiteren Geräusche mehr.
»Ich will hier raus!« sagte Wendy schließlich.
»Okay«, antwortete Marissa. Sie hatte es ebenso eilig rauszukommen. Zusammen rückten sie langsam zum Warteraum vor. Dort beugten sie sich vor und spähten ins Dunkel. Hinter dem Warteraum konnten sie jetzt am Ende eines weiteren kurzen Flurs das rote Licht mit dem Schild »Ausgang« erkennen, das die Wendeltreppe anzeigte.
»Fertig?« fragte Marissa.
»Gehen wir!« sagte Wendy.
Hastig durchquerten die beiden Frauen den Warteraum, um auf den kleinen Flur zu gelangen, der zur Wendeltreppe führte. Doch so weit kamen sie nicht. Marissa stieß plötzlich einen unterdrückten Schreckensruf aus, und beide blieben wie angewurzelt stehen. Direkt vor ihnen war eine Gestalt aus der Nische eines Fahrstuhlzugangs getreten. Das Gesicht war in der Dunkelheit nicht zu erkennen.
Marissa und Wendy machten kehrt und wollten zurück in den Ultraschallraum flüchten. Doch dann stoppten sie wieder. Vor ihnen klappte die Tür zum Ultraschallraum laut zu. Und zu ihrem Entsetzen trat ihnen eine zweite dunkle Gestalt entgegen.
Drohend schritten die beiden Gestalten auf sie zu, die eine von vorn, die andere von hinten. Sie saßen in der Falle.
»Was geht denn hier vor?« fragte Marissa. Vergeblich bemühte sie sich, Autorität in ihre Stimme zu legen. »Ich bin Dr. Blumenthal, und dies ist Dr….«
Sie kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen. Aus dem Dunkeln schoß eine Faust vor, traf sie seitlich am Kopf und schleuderte sie zu Boden. In ihren Ohren summte ein Bienenschwarm.
»Nicht schlagen!« schrie Wendy und wollte Marissa zu Hilfe eilen. Doch der nächste Schlag traf sie. Als sie wieder zu sich kam, lag sie lang auf dem Teppich.
Dann ging das Licht an.
Blinzelnd sah Marissa in die plötzliche Lichtfülle. Von dem Schlag dröhnte ihr noch der Kopf. Sie richtete sich in eine sitzende Stellung auf und rieb sich die Stelle dicht über dem linken Ohr, wo der Schlag getroffen hatte. Dann sah sie ihre Hand an, halb in der Erwartung, Blut zu sehen. Aber die Hand war trocken. Sie schaute zu dem Mann hoch, der über ihr stand. Es war ein
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