Mark Bredemeyer
mir beim Anblick ihrer bedrohlich wippenden Gestalten einen gewaltigen Schrecken ein! Auf langen Spießen hielten die vordersten Reihen die noch behelmten Köpfe römischer Legionäre in den grauen Morgenhimmel – offenbar die Wachen und Vorposten am Fluss, die zu den ersten Opfern dieses unerwarteten Aufgebots an Kriegern gehörten. Immer mehr von ihnen strömten in die Dünen, immer mehr Fackeln erhellten die Szenerie. Sie hatten sich gar nicht erst die Mühe gemacht, überraschend anzugreifen, sie sammelten sich offen dort oben und präsentierten sich den Römern. Es mussten bereits weit über tausend sein und Rache war es, was sie antrieb – Rache für den hinterhältigen Überfall der Römer vor wenigen Tagen und die Einforderung des römischen Blutes als Genugtuung für die gefallenen Verwandten. Die meisten jener Stammeskrieger standen dort mit nackten Oberkörpern. Ungeschützt wollten sie in den Kampf gehen! Sie glaubten nicht an ihre Sterblichkeit und der Tod hatte keinen Schrecken für sie. Brust, Rücken, Gesicht und Arme hatten sie sich in den verschiedensten Farben angemalt. Die Haare waren entweder hochgesteckt oder sie hatten Tierschädel auf ihren Köpfen befestigt, um eine übermenschliche Größe zu erlangen und Angst und Schrecken bei ihren Gegnern zu verbreiten. Wie wild gewordene, riesenhafte Unwesen, halb Mensch halb Tier, so sahen die Römer die Stammeskrieger in diesem Moment. Und der Anblick verfehlte seine Wirkung nicht!
Die zuckenden Körper der Krieger wirkten nicht mehr menschlich, sondern wie eine wilde Horde Dämonen, die nur auf das Angriffszeichen wartete. Kriegsstandarten der Stämme zeigten die Abbilder besonders wehrhafter Tiere: Bären, Wölfe, Auerochsen, Adler. Sie ragten drohend aus der Masse heraus.
Schon flogen die ersten Geschosse aus den Dünen auf die sich formierenden römischen Legionäre: Pfeile, Speere, vereinzelt auch Schleudergeschosse. Doch dies war nur leichtes Vorgeplänkel. Ich musste meinen Blick von dem beängstigenden Schauspiel förmlich losreißen, das schon bald zu blutigem, grausamem Ernst werden würde.
Die Krieger gingen nun dazu über, ihre Waffen gegen die Schilde zu schlagen. So erhob sich ein grässliches Getöse, das untermalt wurde vom wiederum ansteigenden Kriegsgesang. Langsam, aber unaufhörlich stieg die Sonne im Osten auf, die ersten Strahlen ihres Lichts streiften das flache, moorige Land und kündeten vom unmittelbar bevorstehenden Angriff.
Mein Auge suchte die gefangenen Frauen. Sie standen nun eng beisammen und schauten ebenfalls in die Richtung des Lärms. Zum Glück waren keine Römer mehr bei ihnen, diese hatten nun wahrlich andere Sorgen.
Endlich sah ich auch Frilike! Sie lebte und schien unverletzt! Ich stürmte den Wall hinunter und auf sie zu. Niemand war mehr da, um mich aufzuhalten!
»Frilike!«, rief ich, doch meine Worte gingen unter im Brausen des Kriegsgeschreis in den Dünen und der Hektik und dem Chaos im Römerlager. Signale wurden geblasen, Stimmen schrien durcheinander und brüllten Befehle. Die Infanteristen legten so viele Rüstungsteile an, wie es eben noch ging, bevor sie sich bei den Standarten ihrer Centurien versammeln mussten.
Endlich war ich bei den Frauen! Ich packte Frilike an der Schulter und riss sie herum. Mit schreckgeweiteten Augen starrte sie mich aus ihrem dreckverschmierten Gesicht an.
»Frilike! Ich hatte solch eine Angst, dass dir etwas passiert sein könnte! Tag und Nacht habe ich nur an dich gedacht!« Ich zog sie an mich und drückte sie fest. Dabei spürte ich, wie ihr Körper mir im ersten Moment Widerstand leisten wollte, doch dann entspannte sie sich in meinen Armen. Ich sah ihr ins Gesicht. Tränen der Freude hinterließen helle Bahnen auf ihren Wangen und sie schlang ihre langen Arme um meinen Hals.
»Ich habe zu den Göttern gebetet, dass du heute Nacht erscheinst, Witandi! Sie haben mich erhört!« Sie fasste meinen Kopf an beiden Seiten und drückte mir einen verzweifelten Kuss auf die Lippen.
Das tat gut! Es entschädigte ein wenig für die Strapazen der letzten Tage. Seitlich von uns bemerkte ich Lioflike, die uns erbittert beobachtete. Die Wirklichkeit drang nun wieder in mein Denken ein.
Ich packte Frilikes Hände. »Wir müssen uns beeilen! Hier bricht gleich ein Sturm los, glaub mir!«
Ich griff nach meinem Messer und schnitt hastig alle Fesseln der Frauen durch.
»Frilike! Lauft in den Wald und geht nach Norden! Ich komme nach, sobald ich kann!«
»Nein, Witandi!
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