Markttreiben
nickte. Vollendeter Rum und so viele unvollendete Leben.
Sie tranken, bis Gerhard seufzte. »Der eine Mann ist Socher. Wissen
Sie, wer der andere ist?«
»Auf dem Bild ist das schwer zu erkennen, aber zu neunundneunzig
Prozent ist das Rainer Bader. Ein Restaurator. Lebt in Willofs. Miri kennt ihn
schon lange.«
»Willofs?«
»Ja, er hat da ‘nen alten Hof geerbt. Da arbeitet er. Er und seine
Frau besitzen auch eine Penthousewohnung in Schongau. Sie wissen schon, so ein
über den Dächern der Altstadt liegendes Ding.«
Gerhard kannte Willofs. Jeder im Allgäu und im westlichen Oberland
kannte Willofs, sofern er nicht gerade als Popper auf die Welt gekommen war.
Willofs, die einzige echte Kultkneipe, die die Allgäuer Welt hervorgebracht
hatte. Und wie immer erinnerte sich Gerhard nicht, wie das Gasthaus eigentlich
hieß. Willofs war das Dorf, das Gasthaus hatte natürlich einen ordentlichen
Namen. Aber man war immer »auf Willofs« gefahren. Er stellte das Nachdenken
über den Namen erst mal ein. Jetzt, mit verkrampftem Hirn, würde das eh nichts
werden.
»Ein alter Kumpel mit Sonderaufgaben also?«, sagte Gerhard.
»Ja, so nennt man das wohl.«
»Und Socher? Warum Socher?«
Baier zuckte mit den Schultern. Er war am Limit. Ungewohnt für
Baier.
»Baier, was denken Sie? Was bedeutet das für den Fall?«
Baier gab ein Ächzen von sich. »Leo hat Miri beobachtet. Ob er
Rainer Bader kennt, weiß ich nicht. Socher kennt er. Socher kann er nicht
ausstehen.«
»Genau, und da bietet sich ihm eine tolle Gelegenheit«, ergänzte
Gerhard.
»Aber er hatte nur ein Fernglas, keine Kamera«, warf Baier ein.
»Aber die Fotografin hatte eine, und das bedeutet …«, sagten beide
Männer im Chor.
Gerhard riss sein Handy raus. Gut, dass er die privaten Nummern
seiner Mitarbeiter eingespeichert hatte beziehungsweise Evi sie ihm
eingespeichert hatte.
»Melanie, haben Sie zufällig die Telefonnummer der Standfotografin?«
Sie hatte. Sie war nämlich zurück ins Büro gegangen, um etwas aufzuarbeiten. Er
wollte sie dafür nun wahrlich nicht tadeln. Hektisch notierte er die Zahlen. Er
wählte die Nummer, und die Frau ging auch netterweise an ihr Handy. Gerhard
stellte kurze Fragen – und erhielt Antworten.
Baier hatte Rum nachgefüllt. Gerhard trank und fühlte die Wärme.
»Wie wir es uns dachten. Die Frau sagt, dass Leo ihr sogar zugewinkt
habe. Man kannte sich ja. Leo war ja schon von Anfang an das Filmmaskottchen.
Er hat sie unten auf dem Platz gesehen, er hat gewusst, dass sie ihn
fotografiert hatte.«
»Und er hat gewusst, dass die Dame den Balkon fotografiert hatte«,
sagte Baier.
»Sicher, das geht ja auch aus der Richtung des Fernglases hervor.«
»Ja, aber hat sie ihm denn die Bilder gegeben?«, fragte Baier.
»Nein, das musste sie auch gar nicht. Sehen wir mal das Zeitfenster.
Sie hat am Vormittag fotografiert und am Nachmittag. Socher ist auf der
Nachmittagssequenz drauf. Sie hat dann die Kamera gewechselt und auf dem
Bürgerfest fotografiert. Bis in die Nacht hinein. Noch vor dem Gewitter hat sie
ihr gesamtes Equipment Leo zum Aufpassen gegeben. Ist selber zum Feiern
gegangen.« Gerhard atmete tief durch. »Wann hatte Leo Lang den Streit mit
Socher?«
Baier überlegte. »Es war sicher nach dem Gewitter. Das war nur kurz
und heftig. Dann hat’s geregnet. Weinzirl, wenn ich so recht nachdenke: Der Leo
stand unter einem Schirm und hatte was in der Hand! Sicher!«
»Die Bilder! Aber wie wurden aus dem Kamerachip Bilder?«, fragte
Gerhard. »Und wann?«
»Irgendwann dazwischen. Leo muss den Chip runtergeladen und
ausgedruckt haben. Wie aber das?« Baier hatte begonnen herumzugehen.
»Er war zu dem Zeitpunkt doch schon als Wächter in der Bank.«
Baier stoppte dicht vor Gerhard. »Aber er war doch nicht allein. Winnie
war dabei. Wir müssen Winnie fragen, ob Leo verschwunden ist!« Baier sah auf
seine Armbanduhr, die sehr schlicht war, uralt und wahrscheinlich sehr
wertvoll. Ohne dass man ihr das angesehen hätte. Sie passte zu Baier.
»Winnie ist am Bau. Er müsste Feierabend haben. Kommen Sie,
Weinzirl!«
»Wohin denn?«
»Zur Brücke. Winnie sitzt bei Marlene. Da sitzt er jeden Tag.«
»Marlene?«
»Der Kiosk an der Brücke. Hat so ein kleines Stüberl dabei. Und hat
Marlene. Prima Mädchen. Eine Institution!«
Gut, ein Vorteil des Škoda
war, dass seine Kurvenlage weit besser war als die des Busses. Gerhard nahm die
Kurven am Schnaidberg viel zu schnell. In Rottenbuch standen gottlob mal
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