Markttreiben
So ganz verstand er dessen Sorge um seine Nichte nicht.
Leute ließen sich unentwegt scheiden, oder? Aber irgendwie hatte ihn Baiers
negative Stimmung angesteckt. Er würde noch werden wie dieser schwedische
Krimi-Kommissar. Das wollte Gerhard aber auf keinen Fall.
Sie bezahlten ihr Bier, und als sie nach draußen kamen, verstummten
die Gespräche. Der Motorradler ließ noch einen dummen Spruch ab, Baier tippte
sich an einen imaginären Hut. Gerhard fuhr nun sehr langsam. Sie schwiegen bis
Peiting. Baier stieg mit einem genuschelten »Servas« aus. Gerhard nuschelte
zurück.
Heute war ihm nach keiner Leberkassemmel mehr. Auch nach keiner
Tiefkühlpizza. Ihm war nach Schweigen. Zwei Stunden war er mit Seppi durch den
Weilheimer Wald und in der Lichtenau unterwegs, lange saßen sie dann am
Bräuwastl-Weiher, und Gerhard war sich sicher, dass er es Seppi nicht gleichtun
und in diese Brühe hüpfen würde. Er schlief schlecht ein und träumte unruhig.
Einmal in der Nacht hatte ihm Seppi besorgt die Schnauze ins Gesicht gehalten.
ACHT
Im Unaufhellbaren
geht eine Tür,
von der
blättern die Tarnflecken ab,
die wahrheitsdurchnässten.
Am nächsten Morgen war die Stimmung frostig. Gerhard übergab
Melanie ihren Laptop. Sie bedankte sich artig. Gerhard berichtete von Leo Lang
und seiner Vermutung, dass Miriam Keller und auch Egon Socher Opfer einer
Erpressung geworden sein könnten. Er schloss auch Rainer Bader nicht aus, ließ
den aber erst mal außen vor.
»Woher weißt du das?«, fragte Evi.
»Ich sagte doch, ich befrage einen Zeugen. Hab ich gemacht.« Gerhard
war unwirscher als nötig. »Gut, Evi, wir fahren zu Miriam Keller.«
Evi starrte ihn an und schrie auf einmal: »Was sind das schon wieder
für Alleingänge? Dein Zeuge? Dein Fall? Deine Geheimnisse? Dann fahr doch auch
allein zu dieser Keller!«
Melanie und Felix waren zusammengezuckt. Gerhard hatte sich erhoben
und sagte mit einer Stimme, die wie ein Diamantschneider durch Glas geschnitten
hätte: »Es ist, wie es ist. Wir fahren jetzt zu Miriam Keller. Wenn du
hierbleiben willst, ist das Grund für eine Abmahnung.«
Er hörte sich das sagen. Er bereute den letzten Satz schon, bevor er
ganz ausgesprochen war. Gott, er war schon so durchgeknallt wie Jo, die immer
erst redete und dann dachte.
Evi hatte sich abgewendet, Gerhard wusste, dass sie weinte. Er
wandte sich an Melanie.
»Finden Sie mal was über den Bader raus«, sagte er und ging in
Richtung Tür.
Evi folgte ihm. Er sah sich nicht um. Wortlos stiegen sie beide ins
Auto, und wortlos fuhren sie nach Peiting. Gerhard parkte vor der Eisdiele. Sie
gingen die wenigen Schritte zu Miris Haus. Es war halb zehn Uhr morgens.
Er läutete und war nervös wie vor einem Date. Er benahm sich wie ein
Irrer. War er zu lange allein gewesen, hatte er zu lange mit Bayern geredet? Er
hatte Evi angeschnauzt, ihr mit einer Abmahnung gedroht. Das war doch nicht er!
Er hätte die Ermittlung abgeben müssen, anstatt an dieser Tür zu klingeln.
Es dauerte nicht lange, bis der Türsummer ging. Sie stiegen in den
ersten Stock hinauf, sie öffnete. Miri!
Sie hatte die Hände voller Blumenerde. Sie trug eine Jeans, die sie
bis unters Knie hochgerollt hatte. Sie war barfuß. Darüber trug sie ein
Karohemd mit Knoten überm Bauch. Ihr BH war ein Sport- BH in Rot, der unter
dem Hemd hervorlugte. Sie war ungeschminkt, hatte ihre Haare irgendwie am
Hinterkopf verzwirbelt. Einzig ein Labello zauberte ein leichtes Rosé auf ihre
Lippen. Sie hatte ein wenig Übergewicht, zumindest in landläufigem Modesinne,
zumindest gemessen an den Topmodels und an Heidi. Für Gerhards Geschmack saßen
die Pfunde wohlproportioniert und ganz richtig, er hatte auch Jos diverse
Diäten nie verstanden. Sie hatte mit zehn Kilo weniger nie besser ausgesehen
als mit zehn Kilo mehr. Auch nicht schlechter. Sie hatte immer so ausgesehen,
wie sie sich gefühlt hatte. Jo war alles, nur keine Spielerin.
Dementsprechend ging es Miri wohl gut. Sie war gebräunt, hatte feine
Fältchen unter den Augen und um den Mund, aber das machte sie nicht alt. Und da
waren diese Augen. Die Augen von Baiers Bild. So wach, so verheißungsvoll und
ohne Farbe. Sie waren nicht grau. Nicht grün. Nicht braun. Sicher nicht blau.
Sie waren etwas dazwischen. Unergründlich.
»Ja?« Das Hemd rutschte über die Schulter, sie rückte es zurecht.
Gerhard registrierte Evis missbilligenden Blick. Er hingegen hätte der Frau nie
Absicht unterstellt, unterstellen wollen.
»Miriam
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