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Markttreiben

Markttreiben

Titel: Markttreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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Spitz auf Knopf. Meine Frau ist ebenfalls so eine
Persönlichkeit. Mit einem Unterschied. Ich bin ein Brummbär, ich weiß das –
aber ich ruhe in mir. Miris Mann war für meine Begriffe höchst selbstunsicher.
Coole Fassade, dahinter nur Seelenmüll und Angst. Angst, zu versagen, Angst,
nicht anzukommen bei den Leuten, Angst, nicht dazuzugehören.«
    »Wo dazugehören? Wie gehört man denn dazu?«, fragte Gerhard, für den
das alles schon wieder viel zu psychologisch wurde. Er hatte nie den Wunsch
gehegt, irgendwo dazuzugehören. Entweder die Menschen nahmen ihn so, wie er
war, oder eben nicht. Außerdem konnte er sich sehr gut allein beschäftigen. Und
mit Seppi.
    »Die beiden sind ein paarmal umgezogen. Durch diverse Dörfer
zwischen Starnberger See und Lech. Er war immer sofort der bessere
Dorfbewohner, der perfektere Trachtenträger, das engagierteste Mitglied im
Sportverein. Aber auf dem Land gehört man nur dazu, wenn man seine
inzüchtlerische Verwandtschaft bis ins Mittelalter zurückverfolgen kann.
Weinzirl, sehen Sie genau hin: Je nach Ort heiraten die Zwinks immer die
Maderspachers, die Niggls die Schleichs und so weiter. Wenig Mischehen,
Weinzirl. Wenn jemand zuzieht, dann bereits paarweise. Das sind die Leute, die
dann in den Neubaughettos leben. Die in der Babyspielgruppe oder der
Welpenspielgruppe sind.«
    Gerhard musste lachen. Aber war es nicht wirklich so? Baier hatte
recht.
    »Und wenn überhaupt Mischehen, dann werden Ossi-Mädchen geehelicht,
die irgendwo in der Gastronomie im Service arbeiteten. Sie bekommen flugs
Kinder, lassen sich nach zwei Jahren wieder scheiden und gehen zurück in den
Osten. Die Kindsväter zahlen und fahren alle vier Wochen Hunderte von Kilometern
bis an die polnische Grenze, um ihre Kinder zu sehen.«
    »Weinzirl, Sie sind der gleiche Zyniker wie ich. Aber so ist es.
Hier muss man zu den Familien gehören, die die Fäden in der Hand haben. Wenn
man zu den Burschenschaftlern gehört, ist man dabei. Sie glauben gar nicht, was
die für eine Macht haben auf den Dörfern.«
    »So wie Leo Lang?«
    »Klar, der wirkte auf den ersten Blick grobschlächtig und umbackt,
aber bauernschlau sind die hier alle.«
    »Aber dann hat Miris Mann doch auch nie dazugehört, oder?«
    »Nein, mir war immer klar, dass diese Ehe nur scheitern konnte.«
    »Hat Ihre Nichte das nicht auch so gesehen?«
    »Ich wiederhole mich: Rational ja, aber tief drinnen hatte sie das
Gefühl, versagt zu haben. Sie wollte ihn wirklich begleiten, bis dass der Tod
sie geschieden hätte. Und nun flüchtet sie in ihr altes Leben. Männer zur
Ablenkung …«
    »Auch Drogen? Wie früher?«, unterbrach Gerhard ihn.
    »Ich glaube nicht. Aber manchmal hab ich den Eindruck, sie trinkt zu
viel.«
    »Muss sie denn nicht arbeiten?« Der Gedanke schoss soeben durch
Gerhards Kopf. Arbeit war ein gutes Regulativ, um nicht komplett abzustürzen.
    »Das ist das nächste Problem, Weinzirl. Sie hat die Schule
verlassen. Dabei war sie eine wunderbare Lehrerin. Sie hat Geld. Leider, in dem
Fall, Weinzirl. Sie lebt von den Mieteinnahmen nicht schlecht. Sie hat zu viel
Zeit zum Nachdenken und Unsinntreiben. Gut, um vollständig zu sein: Sie macht
ehrenamtlich Konversationskurse im betreuten Wohnen, hat ein paar Seniorinnen,
mit denen sie Englisch oder Französisch plaudert. Und was glauben Sie?«
    Gerhard sah ihn fragend an.
    »Da wird ihr nun unterstellt, sie wolle sich ein Erbe erschleichen.
Die eigenen Kinder schauen die Mutter mit dem Arsch nicht an, aber wenn die
demente Mutter und der Alzheimervater dann im Sterben liegen, dann stehen sie
da. Mit offenen Händen, die Gier in den Augen. So ist die Denke!«
    Baier schüttelte den Kopf unwirsch und fuhr fort: »Miri will
bestimmt nicht erben. Wenn sie was zum Saufuadern hat, dann Geld. Da sind alte
Damen, die haben gar niemanden mehr. Die alte Frau Paulus zum Beispiel, der
Mann ist bei einem Bergwerksunglück umgekommen, der Sohn später in den
Achtzigern auch noch gestorben. Sie ist steinreich und allein. Miri besucht sie
häufig. Komisch eigentlich, die Paulus ist hart wie Kruppstahl, und Miri ist so
liebenswert. Aber irgendwie verstehen die sich.«
    Gerhard blickte ins Leere. Sie schwiegen. Baier stand auf, hantierte
mit etwas und stellte Gerhard ein winziges Glas hin. Er probierte. Ein
Geschmack wie ein weicher Grappa Riserva. Aber doch anders. Wie Rum, aber eben
nur in Nuancen rumig.
    »Aus Panama. Rum aus Panama. Sehr weich. Vollendeter Geschmack,
oder, Weinzirl?«
    Gerhard

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