Markttreiben
ihm ein neues Weißbier eingeschenkt,
sich einen Wein. Sie hatte ein ernstes Gesicht aufgesetzt. »Glauben Sie, das
hat etwas mit mir zu tun?«
»Frau Keller, wie wäre das: Leo Lang zeigt die Bilder Socher und
erpresst ihn?«
»Und Socher hätte Leo umgebracht? Niemals!« Sie klang wirklich
überzeugt.
»Gut, Frau Socher hat die Bilder bekommen und ist ausgerastet?«
Sogar Miri war das Lachen vergangen. »Sie erwürgt Leo? Na, ich weiß
nicht! Obgleich ich ihr die Pest an den Hals wünsche und der Gedanke, sie auf
ewig los zu sein, reizvoll ist. Die Gutmenschin wäre doch nur eine Mörderin.
Aber bedaure: Das hat sie nicht im Kreuz.«
»Noch eine Version. Leo hat das Effi Bader gezeigt. Er erpresst
sie.« Gerhard betrachtete sie weiter und fühlte sich dauernd so, als müsse er
sie anfassen.
»Dann hätte Effi Leo umgebracht? Das glauben Sie doch selbst nicht!
Effi ist zu vernünftig für so was.«
Das hatte Bader auch gesagt. Aber die beiden konnten sich auch
abgesprochen haben. »Gut, dann anders. Leo Lang hat die Fotos Ihnen gezeigt und
gedroht, sie Effi Bader zu geben. Er hat Sie erpresst.«
»Und dann hätte ich Leo getötet? Hätte ich das im Kreuz? Glauben Sie
das?« Das hätte kokett klingen sollen und überlegen, tat es aber nicht.
»Ja, Frau Keller, Sie sind doch bereit, weit zu gehen. Ihnen sind
Normen doch egal. Sie haben doch nichts mehr zu verlieren, oder? Doch, Sie
haben was zu verlieren, und zwar aus dem Grund, weil Sie Frau Bader nämlich
gebraucht haben. Sie sollte Ihnen Tür und Tor in der Schule am Ammersee öffnen.
Ihre Reputation als Lehrerin hat ja wohl etwas gelitten. Für eine staatliche
Schule hätte es wohl kaum eine Empfehlung für Sie gegeben und keine
Wiedereinstellung. Oder?«
»Das ist ja eine tolle Story, die Sie sich da haben einfallen
lassen, Chapeau!« Sie lachte laut heraus.
Gerhard war sich dessen bewusst, dass sie nichts weiter mehr sagen
würde, und schwenkte um. »So lustig ist das nicht, so wie Ihr ganzes angeblich
so lustiges, freigeistiges Leben gar nicht so witzig ist. Baier macht sich
nämlich Sorgen um Sie«, sagte er unvermittelt.
Sie beobachtete ihn aufmerksam. »Sind Sie deshalb gekommen?«
»Nein, wegen Ihrer Lover. Aber ich schätze Ihren Onkel sehr.«
»Er Sie auch, das spricht für Sie, Herr Weinzirl!«
»Na immerhin!«
»Nehmen Sie noch ein Weißbier?« Sie war aufgestanden.
Gerhard blickte fast überrascht auf sein Glas. Hatte er das zweite
in der kurzen Zeit weggepumpt? Er gab die einzig falsche Antwort. »Ja.«
Als sie sich wieder gesetzt hatte, sagte sie: »Ich weiß, dass Baier
besorgt ist. Muss er aber nicht. Ich bin erwachsen.«
»Ist es so erwachsen, die Lover zu wechseln wie die Unterhosen?«,
fragte Gerhard und hasste sich für den Satz. Was passierte mit ihm? Er redete
doch sonst keinen solchen Unsinn. Er war schon wieder viel zu privat.
»Herr Weinzirl, erstens ist das eine Frage des Geschmacks, wie oft
man seine Unterhosen wechselt. Zweitens: Definieren Sie mir Erwachsensein. Und
drittens: Wollen Sie mich retten? So wie man eine Prostituierte rettet?« Ihr
Ton war wieder schärfer geworden.
»Frau Keller, ich will Sie nicht retten. Das ist nicht mein Job.
Mein Job ist es, ein bisschen Gerechtigkeit zu schaffen, und das gelingt mir
nur sehr unzureichend. Und ich habe es mir abgewöhnt, die Menschen verstehen zu
wollen. Das ist fatal in meinem Job.«
»Das ist Weiberkram, Herr Weinzirl. Frauen müssen alles begreifen,
um es zu verarbeiten. Männer schieben es weg. Das liegt am Chromosomensatz.«
»Ich denke, Sie sind Lehrerin für Französisch und Englisch. Nicht
für Biologie.« Was war das für ein Geplänkel, das er hier abzog? Und wieso ließ
er sich von ihr die Gesprächsrichtung aufdrücken?
»Allgemeinwissen, Herr Weinzirl. Und die langen Jahre.« Sie sah zum
Fenster. Die Balkontür stand offen. Der Regen prasselte und trommelte ein
unrhythmisches Stück. Der Regen ließ nach, setzte wieder stärker ein, und ab
und zu ergoss er sich in fast waagrechten, windgepeitschten Schauern, dass er
den Parkettboden benetzte.
»Wollen Sie nicht lieber die Balkontür schließen?«, fragte Gerhard
mit einer Kopfbewegung Richtung Tür.
»Nein, ich brauche Luft. Und Platz!«
»Sie hatten ein Haus. Wieso haben Sie das aufgegeben? Das hatte
Platz.«
»Aha, Baier hat geplaudert! Was haben meine Lebensentscheidungen mit
Ihrem Besuch zu tun? In den langen Jahren hatte ich ein Haus. Gut. Nun lebe ich
hier und hasse Wände um mich herum.«
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