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Markttreiben

Markttreiben

Titel: Markttreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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ließ den
Blick schweifen. Ein paar Bilder hingen in blauen Rahmen, auf einem hatte Miri
den Arm um eine ältere Frau gelegt. Miri lachte, die Dame guckte streng. Sie
war seinem Blick gefolgt.
    »Frau Paulus, sie lebt im betreuten Wohnen, und ich besuch sie ab
und zu zum Englischreden. Ich weiß gar nicht, warum sie mit mir plaudern will,
sie spricht viel besser als ich. Eigentlich lerne ich was von ihr.«
    Baier hatte ihm von den Besuchen erzählt. Gerhard sagte weiter
nichts, Miri sagte nichts. Sie trank einen Schluck Wein und sah ihn an. Gerhard
hielt ihrem Blick stand. Diese Augen machten ihn halb wahnsinnig. Dennoch war
sie es, die das Spiel verlor. Sie redete als Erste.
    »Haben Sie das auf der Polizeischule gelernt? Leute niederzustarren?
Oder sehen Sie US -Serien, wo der
Verdächtige sich durch seine Körpersprache verrät?« Sie lachte kurz auf. »Meine
Körperhaltung ist offen, ich trinke nicht hektisch, popele nicht an meinen
Fingern rum. Aber was sagen Ihnen meine Augen? Lügen sie?«
    »Bestimmt. Ihre Augen sagen mir, dass Sie eine gute Schauspielerin
sind. Dass Sie kein offenes Buch sind.«
    »Das habe ich mir abgewöhnt über die langen Jahre.«
    »Das klingt nach weiser Großmutter. So weise können Sie noch gar
nicht geworden sein.«
    Himmel, er flirtete mit ihr!
    »Herr Weinzirl, ich bin fünfundvierzig. Das wissen Sie ja sowieso.
Und es gibt Jahre, die sind um ein Vielfaches länger als andere. Das sind die
langen Jahre.« Sie lächelte. »Ein schöner Buchtitel, oder? ›Die langen Jahre‹.
In denen kann man alles an Verbitterung erwerben, wozu man sonst ein
Lebensalter gebraucht hätte.«
    Das war hart und überraschend offen. Und genau das irritierte
Gerhard so an ihr: diese Pendelbewegung zwischen Verstecken und Bloßlegen.
    »Frau Keller, ich möchte Sie nochmals zu Socher und Bader befragen.
Wie lange geht das schon? Was wussten die Ehefrauen davon?« Leise schickte er
ein »Warum?« hinterher und verfluchte sich sofort dafür.
    Miri hatte ihn aufmerksam angesehen. »Warum? Warum was?«
    »Warum Bader? Warum Socher?«
    »Wo die Liebe hinfällt … ich frag Sie doch auch nicht, weswegen Sie
mit Frau X und nicht mit Frau Y vögeln.« Sie lachte, etwas unnatürlich, wie
Gerhard fand.
    »Liebe? Bei meinem letzten Besuch haben Sie das eher als den Witz
des Jahrhunderts hingestellt.«
    Sie wurde wieder ernst. »Na gut, eine ernsthafte Antwort, Herr
Weinzirl. Eine ehrliche Antwort, und falls die Ihnen nicht gefällt, kann ich es
nicht ändern. Egon Socher war mal mein Kollege an der Schule. Er ist ein
gebildeter und durchaus witziger Mann, der es lediglich momentan etwas mit
seinem Anti-Film-Kreuzzug übertreibt. Er war immer schon, sagen wir mal,
interessiert an mir. Er hat mit mir geflirtet auf Schulfesten, Ausflügen,
Konferenzen. Ich war aber ein braves Mädchen und eine treue Ehefrau. Als mein
Mann dann weg war mit seiner neuen Gespielin, hat Frau Socher die Liga der
Frauen angeführt, die mich verteufelt haben. Ich, die ich meinen armen Mann
hinausgeworfen habe. Ich, die ich mit meinem unfraulichen Verhalten –
berufstätig, Putzfrau, dauernd in Restaurants essend, an Stammtischen unter
Männern sitzend – es ja nicht besser verdient habe. Frau Socher, mit dem
schönen Namen Roswitha ausgestattet, ist eine ganz Christliche. Sie ist im
Kirchenchor, bei irgendwelchen Tafeln dabei, sie macht Hausaufgabenbetreuung
bei sozial schwachen Kindern. Ja, als ich noch Lehrerin war, war das
Schulversagen ihrer Zöglinge stets meine Schuld. Roswithachen ist das
personifizierte Gute. Sie trifft viele gleich gesinnte Damen und plaudert mit
denen über mich. So christlich, dass Frauen, die mich vor meiner Scheidung
kannten, die Straßenseite wechseln. Sie plaudert so, dass beim Gräberumgang an
Allerheiligen darüber gesprochen wird, dass ich weggehöre. An einem Tag, an dem
man eigentlich der Toten in der eigenen Familie gedenken sollte und sich nicht
die Schandmäuler über andere zerreißen. Ich hasse Rosi, Roserl, Rosl, Roswitha,
und ich vögle mit ihrem Mann, weil das das Schlimmste ist, was ich ihr antun
kann!«
    Sie sah ihn provozierend an. Gerhard sagte nichts.
    »Geschockt, Herr Kommissar?«
    »Ich bin sehr schwer zu schocken, dann hätte ich auch meinen Beruf
verfehlt.« Er machte eine kurze Pause. »Wusste Frau Socher von Ihnen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Aber Ihr Plan funktioniert doch nur, wenn sie es weiß, oder? Sonst
tut es nicht weh.«
    »Ach ja, auch stille Triumphe sind Triumphe.« Sie

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