Marlene Suson 2
paar Minuten später wurde er von einem drahtigen rothaarigen Mann namens Ames eingenommen. Ames war verspätet zum Block- hausbau gekommen und erst eingetroffen, als die Wände schon fast standen.
Stephen beobachtete Megan beim Tanz, hin und her gerissen
zwischen Eifersucht, weil sie mit einem anderen Mann tanzte, und Bewunderung, weil sie sich so anmutig bewegte.
Was für eine unvergleichliche Frau sie doch war! Ihre wilde Entschlossenheit und Courage angesichts der Gefahren, die die Wildnis barg, erfüllte ihn mit Stolz. Manch kräftiger Mann hätte sich davon abschrecken lassen, aber seine Megan nicht.
Seine Megan!
Es traf Stephen wie ein Schock, daß dieses schlichte, tapfere Mauerblümchen einen Platz in seinem Herzen erobert hatte, der noch nie von einer Frau eingenommen worden war. Wenn er mit Megan zusammen war, empfand er ein so tiefes, stilles Glück, wie er es bislang nicht gekannt hatte. In ihrer Gegenwart verschwanden Ungeduld und Ruhelosigkeit, die ihn in London umgetrieben hatten.
Der Gedanke, sie und Josh hier zurückzulassen, machte ihm schwer zu schaffen. Jeden Tag würde er sich fragen, ob sie in Sicherheit waren, ob es ihnen gutging oder ob die Gefahren der Wildnis ein neues Opfer gefordert hatten.
Ames’ durchdringende Stimme unterbrach Stephens Gedan- ken.
„. . . ‘n verurteilter Mörder. Heißt Billy Gunnell.“
Stephen erstarrte.
„Sie haben den Steckbrief grade angehängt, als ich am Wirts- haus vorbeikam“, fuhr Ames fort.
„Wie sieht er denn aus?“ fragte sein Nachbar.
„Dunkel, groß und mager. Hat ‘nen schwarzen, buschigen Bart, ‘ne auffällige Narbe über dem einen Auge, trägt ‘n Hemd aus gro- bem Stoff und ‘ne Hose, die mit ‘ner Schnur festgehalten wird. Aufm Steckbrief steht, daß er ‘n ganz gefährlicher Galgenvogel ist.“
Ames unterbrach sich, um einen tüchtigen Schluck aus sei- nem Becher zu nehmen. „Sind, scheint’s, ganz scharf drauf, ihn wiederzukriegen. Hab noch nie von so ‘ner hohen Belohnung ge- hört. Hätte fast Lust, mich dem Stinktier selbst auf die Fersen zu heften.“
15. KAPITEL
Im grauen Licht des frühen Morgens sah Stephen sich wachsam um und vergewisserte sich, daß auch niemand in der Nähe war. Die schlammige Straße wirkte verlassen, und auch aus dem Wirtshaus hörte er keinen Laut.
Erleichtert hob er die Hand und riß einen der Steckbriefe von dem Brett. Die Suchmeldung bezog sich auf einen gewissen Billy Gunnell, einen verurteilten Mörder.
Fast die ganze Nacht hatte Stephen wach gelegen und gegrü- belt. In den ersten Morgenstunden hatte er sich dann aus dem Blockhaus geschlichen und auf den Weg zum Wirtshaus gemacht.
Er knüllte das Papier zusammen, wagte jedoch nicht, es weg- zuwerfen. Jemand könnte es finden und sich fragen, warum es abgerissen worden war. Sorgfältig steckte er es in die geräumige Tasche seines Jagdhemds. Er würde es im Kamin verbrennen, wenn Megan gerade nicht im Blockhaus war.
Stephen machte sich im Laufschritt auf den Heimweg. Hof- fentlich kam er rechtzeitig zurück, bevor Megan erwachte und sein Verschwinden bemerkte.
Es war purer Leichtsinn, noch länger zu bleiben. Bei einer Belohnung in dieser Höhe würden Männer wie Silas Reif das gesamte Grenzland nach ihm durchkämmen. Wenn Stephen sich nicht auf die Beine machte, würden sie ihn finden.
Doch der Gedanke, Megan für immer zu verlassen, allein nach England zurückzukehren und durch den riesigen Ozean von ihr getrennt zu sein, erfüllte ihn mit einer kalten Leere. Es war undenkbar, daß er nie mehr ihre weiche, melodische Stimme hören, nie mehr ihren süßen Duft nach Orangenblüten einat- men, nie mehr ihr strahlendes Lächeln sehen und nie mehr ihre leidenschaftlichen Lippen spüren sollte.
In diesem Augenblick wurde ihm klar, daß er Megan nach England mitnehmen mußte.
Er konnte sie nicht hierlassen, gleichgültig, in welche Gefahr er sich damit begab. Wenn George kam, mußte er Stephen eben den Betrag für zwei Schiffspassagen vorstrecken – nein, sogar für drei. Niemals würde Megan ohne Josh gehen, und Stephen würde das auch gar nicht wollen. Der Junge war ihm viel zu sehr ans Herz gewachsen.
Stephen würde Bruder und Schwester aus diesem trostlosen Leben voll endloser Plackerei herausholen. Er würde Megan ein Leben im Luxus bieten, ein Leben, wie sie es hier niemals führen konnte.
Natürlich konnte er sie nicht heiraten.
Selbst wenn die flatterhafte Fanny einen anderen Aristokraten ergattert hatte, konnte
Weitere Kostenlose Bücher