Marlene Suson 2
nicht die Kraft, um sich zu wehren. Seine Arme waren so stark und beschützend, und sein Mund . . . sein Mund erstickte jeden vernünftigen Gedanken in ihrem Kopf.
Irgendwie war sein Kuß heute anders. Meg spürte eine Ent- schlossenheit in diesem Kuß, die sie nicht verstand und die sie verunsicherte.
Ohne die Lippen von ihrem Mund zu nehmen, löste er ihren Zopf auf und breitete das Haar wie einen schimmernden Umhang um sie aus. Zärtlich fuhr er mit den Fingern durch die seidigen Strähnen, und das Gefühl, von ihm bewundert zu werden, hüllte Meg ein wie ein warmer Mantel.
Mach dich nicht zum Narren. In ein paar Tagen ist die Ernte vorüber, und dann wird er fortgehen.
Die Tür des Blockhauses ging auf, und Josh kam herein. Schuldbewußt fuhren Meg und Stephen auseinander. Mit flam- mendem Gesicht wandte Meg sich ab und begann das Abendessen vorzubereiten.
Stephen wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete befriedigt und erleichtert das abgeerntete Maisfeld. Die Ernte war unter Dach und Fach. Es war eine Schinderei gewesen, doch er dankte Gott, daß es ihm möglich gewesen war, sein Wort zu halten und Megan zu helfen.
Obwohl die Ernte nun vorbei war, hatte Quentin sich nicht blicken lassen.
George allerdings auch nicht.
Und das beunruhigte Stephen viel mehr. Er hatte nicht erwar- tet, daß Megans Bruder sein Versprechen halten würde, doch er hatte darauf gebaut, daß sein eigener Bruder ihm zu Hilfe eilen würde, sobald er den Brief erhielt.
George mußte den Brief inzwischen erhalten haben. Es war schon mehr als ein Monat vergangen, seit Stephen ihn abge- schickt hatte, und man hatte ihm versichert, daß ein Brief nach New York höchstens vier Wochen brauchte.
Möglicherweise war der Brief verlorengegangen, doch Megans Frage, wer von seinem Tod am meisten profitierte, hatte Zweifel in Stephen geweckt, die ihm keine Ruhe mehr ließen.
Der Gedanke, sein Bruder könnte hinter seiner Entführung stecken, drückte Stephen fast das Herz ab.
Wenn George sein unbekannter Feind war, hätte Stephen ihm natürlich niemals schreiben dürfen, wo er sich aufhielt. Würde George ihn an Flynt verraten?
Und da war noch etwas, das Stephen die Ruhe raubte. Als er den zusammengeknüllten Steckbrief von Billy Gunnell im Kamin verbrennen wollte, hatte er entdecken müssen, daß er nicht mehr in seiner Tasche war. Er mußte herausgefallen sein, doch Stephen hatte keine Ahnung wo. Hoffentlich wurde er von niemandem gefunden.
Stephen schaute auf und erblickte Megan, die über das Feld auf ihn zukam. Seine Laune besserte sich zusehends, obwohl seine Verführungskünste bei ihr bislang ein totaler Fehlschlag gewesen waren. Er hatte sie lediglich dazu bewegen können, ihre gräßlichen Hauben nicht mehr zu tragen. Kein sonderlich beein- druckender Erfolg für einen Mann, der in London als Frauenheld gegolten hatte.
Mit seinen Lateinstunden bei Josh war er erfolgreicher, und Stephen hoffte, daß die Überraschung, die er morgen für Megan bereithielt, seiner Sache dienlich sein würde.
Während sie auf ihn zukam, stellte er erneut fest, wie sehr sie ihn an die kleinen Kolibris erinnerte, die er auf Ashley Grove so gern beobachtet hatte.
Sobald er mit ihr in England war, würde er einen Juwelier beauftragen, eine Brosche in der Form eines Kolibris anzuferti- gen. Eine große Perle sollte den Körper des Vogels bilden. Für den auffälligen roten Halsfleck würde der Juwelier Rubine nehmen,
und die ausgebreiteten Flügel sollten aus Gold sein, übersät mit winzigen grünen Smaragdsplittern.
Diese Brosche würde wunderbar zu Megan passen.
Als Meg ihn erreichte, sagte sie leise: „Nun ist die Ernte vorbei.“
„Ja.“ Er lächelte ihr zu.
Sie erwiderte sein Lächeln nicht. Ihre grauen Augen blickten ernst und traurig. „Jetzt werden Sie fortgehen. Sie haben Ihr Versprechen gehalten.“
Er würde nicht gehen, bis er eine Möglichkeit gefunden hatte, sie und Josh mitzunehmen. Ohne Georges Hilfe war es Stephen völlig unmöglich, das Geld für ihre Passagen nach England auf- zubringen. „Megan, ich kann nicht fortgehen und Sie und Ihren Bruder hier allein und unbeschützt zurücklassen.“
„Josh und ich sind monatelang auch ohne Ihren Schutz aus- gekommen. Seien Sie versichert, daß uns das auch wieder gelingt.“
Stephen hatte geglaubt, ein glückliches Aufblitzen in ihren Augen bemerkt zu haben, doch ihren Worten nach mußte er sich wohl getäuscht haben. Von ihrer schroffen Antwort verletzt, sagte
Weitere Kostenlose Bücher