Marlene Suson 3
gemacht hat. Wieso hat er dann seine Familie so völlig mittellos zurückgelassen?“
Es wunderte Daniela, daß Lord Morgan soviel Interesse an ei- nem Mann zeigte, den er nicht einmal kannte. Doch dieses Thema war ihr allemal lieber, als wenn er weiter auf der Gentleman- Jack-Geschichte herumgeritten wäre. „Nell ist davon überzeugt, daß er das Geld nicht unterschlagen hat.“
„Keine Frau würde ihren Mann für schuldig halten. Aber weshalb sonst sollte er dann verschwunden sein?“
Daniela seufzte. „Ich wünschte, ich wüßte es. Ich habe Walter Briggs immer für einen ehrlichen Mann gehalten. Und ich war mir auch seiner Loyalität meinem Vater gegenüber stets sicher.“
„Übertrug er seine Loyalität ebenfalls auf Basil?“
Morgans Frage überraschte sie. „Darüber habe ich noch nie nachgedacht, aber ich glaube, sie mochten einander nicht be- sonders.“ Walter Briggs hatte ihr einmal anvertraut, daß er ih- ren Bruder ablehnte und seinetwegen mit dem Gedanken spielte, seine Stellung auf Greenmont aufzugeben. Plötzlich kam ihr ein
Gedanke, und sie sah Morgan mit schreckgeweiteten Augen an. „Glauben Sie, daß Walter deshalb ...“ Sie brachte es nicht fertig, den Satz zu beenden.
„Scheint so.“
Als sie Greenmont erreichten, kam ihnen Lady Elizabeth ent- gegen. Sie sah bezaubernd aus in ihrem hochmodischen korn- blumenblauen Reitkleid.
Bei ihrem Anblick wurde Daniela sich schmerzlich bewußt, wie alt und unmodern ihr eigenes war.
Lady Elizabeth wirkte ausgesprochen verärgert. „Ich hatte ge- hofft, heute nachmittag mit Ihnen auszureiten, Mylord“, sagte sie spitz.
Bei dem berückenden Lächeln, mit dem Morgan die schöne Frau beschenkte, hätte Daniela am liebsten mit den Zähnen geknirscht.
„Das konnte ich nicht wissen“, gab er höflich zurück. „Ich bin untröstlich, daß ich mir ein solches Vergnügen habe entgehen lassen.“
Daniela wandte sich ab und hastete zum Haus. Wie konnte sie nur so dumm sein zu glauben, daß Lord Morgan in ihr etwas anderes sah als eine amüsante Ablenkung.
Rachel ist die beste, gütigste und schönste Frau, die mir je be- gegnet ist. Und wenn Lord Morgan Rachel schon nicht heiraten konnte, dann mußte es zumindest Lady Elizabeth sein, die in bezug auf Schönheit Rachel gewiß am nächsten kam.
Als Daniela das Haus erreichte, erfuhr sie von Dobbs, dem Butler, daß Mrs. Fleming sie im Morgenzimmer erwartete. Da- niela verbarg ihre Niedergeschlagenheit hinter einer fröhlichen Miene und eilte zum Morgenzimmer.
Charlotte erhob sich, um sie zu begrüßen. Sie trug einen breit- randigen Strohhut, der mit gelben Bändern und Schleifen auf- geputzt war, die aus dem gleichen Material bestanden wie die Schärpe, die um ihre Taille geschlungen war.
„Was für ein reizender Hut!“ rief Daniela. „Ich hoffe, du hast nicht zu lange auf mich warten müssen.“
„Nur ein paar Minuten. Ich sah dich mit Lord Morgan Par- nell kommen. Bist du mit ihm ausgeritten?“ Charlotte musterte Daniela mit einem forschenden Blick.
„Er hat mich zum Pfarrhaus begleitet und bestand darauf, mit Asa und Donnie Briggs zu spielen, während ich mit Nell sprach. Du glaubst gar nicht, wie er mit den beiden herumgetollt hat.“
„Wieso überrascht dich das? Ich halte Seine Lordschaft durch- aus für einen Mann, der Spaß an Kindern hat.“
„Aber er ist doch so ein Frauenheld!“
„Ich weiß, daß du ihn für einen Ausbund aller männlichen Laster hältst, Daniela, aber ich bin da ganz anderer Meinung.“
Charlotte wirkte so überzeugt! Daniela hoffte, daß die Freun- din sich nicht irrte.
„Lord Morgan ist derjenige, dem die Frauen nachstellen, nicht umgekehrt. Wenn du es genau wissen willst, Seine Lordschaft schenkt dir sehr viel mehr Aufmerksamkeit als den meisten Frauen.“
„Mir? Wie kommst du denn auf so etwas?“
„Du bist die einzige Frau, mit der er auf dem Ball zweimal getanzt hat.“
„Ist das wahr?“ fragte Daniela ungläubig.
„Natürlich“, versicherte Charlotte. „Lady Elizabeth war über- aus verärgert. Und gestern beim Dinner hat er dich zu Tisch geführt. Nachdem Basil dich hinausgeschickt hatte, ist Lord Morgan ebenfalls hinaufgegangen, als die Damen sich in den Salon zurückzogen.“
Daniela spürte, wie ihre Wangen heiß wurden, als sie daran dachte, wie Morgan sie in seinem Schlafzimmer erwischt hatte.
„Ich hatte den Eindruck, daß er nicht bei uns bleiben wollte, weil du nicht mehr da warst.“
Das wäre zu schön, um wahr zu
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