Marlene Suson 3
ebenfalls hoch im Blut. Als ich ihn sah, habe ich mich gefragt, ob er viel- leicht der berühmte Lightning Ihres Bruders ist. Mein Vater hat einmal gesagt, er würde alles dafür geben, ein solches Pferd zu besitzen.“
Morgan klopfte dem Fuchs liebevoll auf den Hals. „Dies ist Thunder, Lightnings jüngerer Bruder.“ Ein Stück voraus erhob sich eine Kirche am Rande eines Dorfes. „Wollen Sie in dieses Dorf?“
„Ja, ins Pfarrhaus.“
„Einen Besuch bei der Pfarrersfrau machen?“
„Nein, bei Mrs. Briggs, seiner Haushälterin.“
Bei dem Namen hob Morgan die Brauen, ließ sich jedoch nichts anmerken. So beiläufig wie möglich fragte er: „Ist sie mit dem früheren Verwalter von Greenmont verwandt?“
„Sie ist seine Frau.“
Morgan fuhr herum und schaute Daniela überrascht an. „Sie ist mit dem Mann verheiratet, der so viel Geld unterschlagen hat?“ Wieso arbeitete sie dann als Haushälterin für den Pfarrer?
„Woher wissen Sie von der Unterschlagung ihres Mannes?“
„Von Ihrem Bruder.“
Als Daniela und Morgan das Pfarrhaus erreichten, zügelten sie ihre Pferde im Schatten einer großen Ulme.
Morgan saß ab und half Daniela aus dem Sattel. Ihm lag sehr viel daran, Briggs’ Frau so gut wie möglich auszufragen. Deshalb sagte er: „Ich komme mit hinein.“
„Nein! Ich möchte allein mit Nell sprechen ... mit Mrs. Briggs, meine ich.“ Stirnrunzelnd sah Daniela ihn an. „Weshalb wollen Sie überhaupt mitkommen? Sie kennen Mrs. Briggs doch gar nicht.“
Darauf hatte Morgan keine Antwort parat, zumindest keine, die er Daniela geben konnte. Deshalb sagte er hastig: „Ich kann nicht zulassen, daß Sie allein und ohne Schutz heimreiten.“
„Das tue ich doch immer. Wir sind hier in Warwickshire und nicht in London.“
Die Tür des Pfarrhauses flog auf, und zwei pausbäckige, flachshaarige kleine Jungen stürmten heraus. Sie sahen einander so ähnlich wie ein Ei dem anderen.
„Dan’a, Dan’a!“ rief der ältere der beiden, den Morgan auf ungefähr drei Jahre schätzte.
Auf stämmigen Beinchen rannte er auf Daniela zu. Sie bückte sich und umarmte ihn herzlich. Der Kleine schlang seine molligen Arme so fest um ihren Hals, daß sie kaum Luft bekam.
Sein jüngerer Bruder, dessen unsicherer Gang verriet, daß er gerade erst laufen gelernt hatte, stolperte ebenfalls auf Daniela zu, die noch immer den größeren Jungen in den Armen hielt.
„Das war aber ein herzlicher Empfang, Asa“, sagte Daniela lachend. „Aber jetzt muß ich auch deinen Bruder begrüßen.“
Asa ließ sie los, und sie vollführte mit seinem kleinen Bruder das gleiche Begrüßungsritual.
Es überraschte Morgan, daß Daniela mit Kindern offenbar
genauso locker umgehen konnte wie Rachel. Während er beob- achtete, wie sie mit den beiden Brüdern sprach, kam ihm der Gedanke, daß sie vermutlich eine ebenso gute Mutter sein würde wie seine Schwägerin.
Sie erinnert mich an Rachel. Er runzelte die Stirn. Dabei war sie doch bei weitem nicht so schön wie Rachel.
Als Morgan im Gras einen Ball entdeckte, hob er ihn auf und schaute Asa an, der ihn scheu beäugte. „Fang auf!“ rief er und warf Asa den Ball zu.
Der Kleine streckte die Arme aus und jauchzte vor Freude, als der Ball tatsächlich in seinen Händen landete.
Eine junge Frau mit welligem, braunem Haar und traurigen, umschatteten Augen erschien in der Haustür. Sie trug eine weiße Latzschürze über ihrem einfachen schwarzen Kleid.
„Mama, Mama!“ rief Asa. „Ich kann Ball fangen!“
„Das hast du gut gemacht“, lobte seine Mutter. Dann ent- deckte sie Morgan, und ihre Augen weiteten sich überrascht und fragend.
„Ich bin Morgan Parnell. Sind Sie Mrs. Briggs?“
Sie nickte. Sie war viel jünger und hübscher, als er erwartet hatte, doch auf ihrem Gesicht lag der verhärmte Ausdruck einer Frau, die viel gelitten hatte. Wie war es nur möglich, daß Briggs seine junge Familie einfach so im Stich ließ? Selbst wenn er Frau und Kinder nicht mit auf die Flucht nehmen konnte, so hätte er ihnen doch etwas von dem gestohlenen Geld zurücklassen müssen, damit sie davon leben konnten.
Morgan lächelte Mrs. Briggs zu. „Freut mich sehr, Sie kennen- zulernen.“
Ein argwöhnischer Ausdruck trat in ihre Augen, als könnte sie nicht glauben, daß sich wirklich jemand über ihre Bekanntschaft freute.
„Dana, Dan’a, fang auf!“ rief Asa. Er wollte Daniela den Ball zuwerfen, doch der flog weit nach links. Geschmeidig sprang sie zur Seite und fing den
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