Marlene Suson 3
sog er die frische Waldluft ein, um seine Lungen von dem scheußlichen Modergeruch des Tunnels zu säubern.
Danielas Oberkörper erschien in der Bodenöffnung. Schmutz bedeckte nicht nur ihr Gesicht, sondern hing auch in ihren wir- ren Locken, die sich teilweise aus den Haarnadeln gelöst hatten. Morgan bückte sich, legte die Hände um ihre schmale Taille und hob sie aus dem Loch. Seine Hände verweilten unnötig lange in der sanften Kurve, wo ihre Taille in die Hüfte überging, als könnte er sie nicht wieder loslassen.
Daniela lachte laut auf.
Er runzelte die Stirn. „Was finden Sie denn so amüsant?“
„Sie!“
Morgan, der nicht daran gewöhnt war, von einer Frau ausge- lacht zu werden, sagte steif: „Es freut mich, daß ich so erfolgreich zu Ihrer Unterhaltung beitrage.“
„Sie würden auch lachen, wenn Sie sich im Spiegel sehen könnten. Sie sind von Kopf bis Fuß so verdreckt, daß man Sie glatt für einen von Sir Waldos Grubenarbeitern halten könnte.“
Morgan schaute an sich hinab und stellte fest, daß dicke Lehm- klumpen an seinem feinen weißen Batisthemd und seinen Reit- hosen klebten. Sein Gesicht sah vermutlich ebenso aus wie das seiner Begleiterin.
Er bückte sich noch einmal und schloß die Falltür. Sein Blick fiel auf einen Haufen Fichtennadeln, trockener Zweige und ab- gestorbener Pflanzenteile, wie sie auf jedem Waldboden zu fin- den sind. Da der Haufen unmittelbar neben der hölzernen Falltür lag, mußte man davon ausgehen, daß das Zeug vorher über der Falltür verteilt gewesen war, um sie zu tarnen.
Morgan kniete nieder und streute alles wieder so über die Falltür, daß die Stelle sich nicht mehr von der Umgebung unterschied.
Befriedigt stand er auf. „Wissen Sie, wo wir sind?“
Daniela nickte. „Wir haben nur einen solchen Fichtenwald hier in der Gegend. Merrywood müßte in dieser Richtung lie- gen.“ Sie wies nach Westen. „Es ist nicht besonders weit. Wir müßten gleich an einen Bach kommen, dem wir dann folgen können.“
Daniela glühte noch immer vor Abenteuerlust. Sie wirkte völ- lig verwandelt. In diesem Augenblick war sie beinahe schön mit diesen blitzenden grünen Augen in dem leuchtenden Gesicht.
Und sie war so unglaublich couragiert.
Sie machten sich auf den Weg und ließen den Fichtenwald bald hinter sich. Der Boden wurde ein wenig abschüssig, und dann kamen sie an den Bach.
Morgans Blick glitt den Bachlauf entlang. „Was in aller Welt ist das denn?“ Er wies auf eine windschiefe, baufällige Holzhütte am Bachufer.
„Da wohnt der alte Rufus Denny. Er ist eine schlichte Seele und nicht ganz richtig im Kopf. Die Leute nennen ihn Denny Doof.“ Daniela stieß mit der Fußspitze einen Kieselstein vom Weg. „Ich bin sicher, daß er völlig harmlos ist. Aber die Leute behaupten, er hätte neuerdings auch den letzten Rest Verstand verloren. Angeblich hat er Geister gesehen.“
„Wie lange lebt er schon hier?“
„Geboren wurde er als Sohn eines Pächters von Greenmont, als mein Vater noch ein Junge war. Er hat sein ganzes Leben hier verbracht, bis Basil ihn der Wilderei beschuldigte. Dar- aufhin jagte Papa ihn von unserem Land. Ich habe nie ge- glaubt, daß Rufus wirklich schuldig war, und versucht, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Papa hat aber nicht auf mich gehört. Schon der leiseste Verdacht auf Wilderei genügte ihm, Rufus zu verbannen.“
„Auf wessen Land lebt Denny denn jetzt?“
„Auf Sir Jaspers. Sir Jasper gehört zu den wenigen Menschen hier, die den armen Rufus tolerieren. Er ist davon überzeugt, daß Denny keiner Fliege etwas zuleide tun würde. Ich bin da ganz seiner Meinung, doch damit stehen wir auf ziemlich verlorenem Posten.“
Morgan zog ein Taschentuch aus feinem Leinen hervor. Er
kniete neben dem Bachlauf nieder, tauchte das Tuch ins Was- ser und wrang es aus. Dann stand er wieder auf und wischte den Schmutz aus Danielas Gesicht. „Ich kenne nur zwei an- dere Frauen, die den Mut gehabt hätten, so wie Sie in diesen schwarzen Schlund einzudringen.“
Bei seinen Worten flog ein Schatten über Danielas Gesicht. Ihre gute Laune bekam einen spürbaren Dämpfer. „Zweifellos ist Rachel eine von ihnen.“ Der scharfe Unterton in ihrer Stimme war unüberhörbar.
„Woher wissen Sie?“ Morgans Gesicht war so mit Schmutz bedeckt, besonders um die Augen, daß er Daniela an einen Waschbären erinnerte.
Wer sonst könnte gemeint sein als dieses Musterexemplar einer Frau ohne Fehl und Tadel!
Es bestürzte Daniela,
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