Marlene Suson 3
sie.
Ein besorgter Ausdruck trat auf Sir Jaspers Gesicht. „Wird auf die Palme gehen, der Herr, wenn er erfährt, daß Sie Seine Lordschaft hergebracht haben.“
„Deswegen erzählen wir es ihm auch nicht“, warf Morgan ein.
„Aber jetzt wird es wirklich Zeit für uns“, drängte Daniela.
„Vorher möchte ich noch einen Blick auf die Gemälde wer- fen“, sagte Morgan hastig. Er wollte nicht gehen, bevor er Ge- legenheit gehabt hatte, möglichst unverfänglich das Jakobiter- Thema anzuschneiden.
Langsam ging Morgan von einem Gemälde zum anderen. Es waren fast ausschließlich lebensgroße Porträts von elegant und kostbar gekleideten Männern und Frauen.
„Ich kann Ihnen auch nicht sagen, wer die Leute auf den Bildern sind“, sagte Sir Jasper. „Sind wohl alles Mitglieder der Bolton-Familie. Der einzige, bei dem ich ganz sicher bin, ist der auf dem Bild rechts von Ihnen. Das ist Lord Charles Bolton, der frühere Eigentümer von Merrywood. Er verlor das Gut, weil er ein Verräter war.“
Endlich! Das war das Stichwort, auf das Morgan gewartet hatte. „Ich hörte, daß Lord Bolton bei dem Jakobiteraufstand von 1715 beteiligt gewesen sein soll.“
„Stimmt genau“, bestätigte Wilton. „Ist dann außer Landes geflohen.“
„Gibt es noch andere Männer hier in der Gegend, die Boltons Überzeugung teilen?“
Sir Jasper lachte spöttisch. „Für die meisten Männer hier bin ich Luft, genau wie für Lady Danielas Bruder. Glauben Sie, daß die mir ihre politischen Ansichten verraten?“
Morgan betrachtete Charles Bolton auf dem Gemälde. Er war ein untersetzter junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jah- ren. Gekleidet war er in einen roten Brokatleibrock, der ihm bis zu den Knien reichte. Seine weißseidene Kniehose wurde von Strumpfbändern gehalten, und auf seinen hochhackigen roten Schuhen prangten barocke Goldschnallen.
Eine voluminöse, in dichten braunen Locken herabwallende Perücke umrahmte Boltons breites Gesicht. Irgend etwas an seiner arroganten Haltung – das erhobene Kinn, die herausge- streckte Brust, wie auch seine Augen und der Gesichtsausdruck – kam Morgan bekannt vor. Dieser Mann erinnerte ihn an jeman- den, doch er hätte nicht sagen können, an wen. „Kein besonders hübsches Exemplar, hm?“
„Nein. Doch es wird behauptet, daß er einen Schlag bei Frauen hatte.“ Sir Jasper trat neben Morgan. „Wie man hört, war so manche Maid hinter ihm her. Einige haben sich angeblich nach seiner Flucht die Augen aus dem Kopf geweint.“
„Dann war er unverheiratet?“
„Ja. Und obendrein ein Dummkopf.“
„Weil er Junggeselle war?“ fragte Morgan verblüfft.
„Nicht deshalb. Aber ich kann beim besten Willen nicht begrei- fen, wieso ein Mann sein Leben und ein so prachtvolles Landgut wie Merrywood aufs Spiel setzt, um den Sohn eines Königs zu unterstützen, der meiner Meinung nach nichts auf dem Thron verloren hat.“
Das waren gewiß nicht die Ansichten eines Jakobiters. Mor- gan wandte den Kopf und musterte Sir Jasper forschend. War es möglich, daß der Baronet ihm eine Komödie vorspielte, um ihn glauben zu machen, er sei ein loyaler Untertan des Königs?
„Darf ich daraus schließen, daß Sie keinerlei Sympathien für die Jakobiter hegen?“ fragte er vorsichtig.
„Sie dürfen. Allerdings habe ich überhaupt nicht viel für die Politik übrig. Auf mein Wort, ich sehe kaum einen Unterschied zwischen den Whigs und den Tories.“
„Halten Sie es für möglich, daß Bolton 1715 durch einen
Geheimgang aus diesem Haus entwischt ist?“ fragte Morgan beiläufig.
„Höchstwahrscheinlich. Ich bin nämlich durch Zufall auf den Geheimgang gestoßen.“
„Tatsächlich? Wie aufregend!“ rief Daniela. „Zeigen Sie ihn uns?“
Sir Jasper schien von dem Vorschlag nicht begeistert, und Mor- gan fragte sich, warum. Wollte Wilton ihn geheimhalten, weil er doch in die Verschwörung verstrickt war und damit rechnete, ihn eines Tages selbst benutzen zu müssen?
„Bitte, Sir Jasper“, schmeichelte Daniela. „Zeigen Sie ihn uns doch.“
Man sah ihm deutlich an, wie gern er Daniela hatte, und daß er ihr keinen Wunsch abschlagen konnte. Nach einem kurzen Zögern führte er sie in eine eichengetäfelte Bibliothek, die von einem massiven, reichgeschnitzten Eichenschreibtisch dominiert wurde. Darauf stand ein dreiarmiger Leuchter mit brennen- den Kerzen, und neben dem Leuchter lag ein offenes Wirt- schaftsbuch. Wilton hatte vermutlich gerade gearbeitet, als seine unerwarteten
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