Mars 01 - Die Prinzessin vom Mars
nicht berichtet.
Meine Mutter war sehr klein, eigentlich zu klein, und so erlaubte man ihr nicht, die Verantwortungen der Mutterschaft zu übernehmen, da es dem Willen unserer Anführer zufolge bei der Züchtung ausschließlich nach der Größe geht. Auch war sie weniger kaltherzig und grausam als die meisten grünen Marsfrauen. Sie legte wenig Wert auf deren Gesellschaft, streifte oft allein durch die menschenleeren Straßen von Thark, setzte sich zu den wilden Blumen, die die nahegelegenen Hügel schmückten, und hing Gedanken und Wünschen nach, die von allen Frauen von Thark allein ich verstehen kann, denn bin ich nicht meiner Mutter Kind?
Dort bei den Hügeln traf sie einen jungen Krieger, der die weidenden Zitidars und Thoats bewachen und darauf achten sollte, daß sie sich nicht hinter die Hügel verirrten. Zuerst unterhielten sie sich über allgemeine Dinge, die bei den Thark von Interesse sind, doch da sie sich häufiger trafen und nicht länger durch Zufall, worüber sich beide ziemlich im klaren waren, sprachen sie viel über sich, die Dinge, die sie mochten, ihre Pläne und Hoffnungen. Sie vertraute ihm und erzählte ihm von dem großen Abscheu, den sie für die Grausamkeiten ihrer Leute hegte, für das schreckliche, lieblose Leben, das sie führen mußten. Dann wartete sie, daß sich ein Sturm verächtlicher Entrüstung von seinen kalten Lippen ergoß, doch statt dessen nahm er sie in die Arme und küßte sie.
Sechs lange Jahre hielten sie ihre Liebe geheim. Sie, meine Mutter, gehörte dem Gefolge des großen Tal Hajus an, während ihr Geliebter ein einfacher Krieger war, der nur sein eigenes Metall trug. Wäre ihr Bruch mit den Traditionen der Thark entdeckt worden, so hätten beide in der großen Arena vor Tal Hajus und der anwesenden Horde dafür bezahlen müssen.
Das Ei, aus dem ich schlüpfte, war auf dem höchsten und unzugänglichsten der teilweise zerstörten Türme des einstigen Thark unter einem großen Glasgefäß versteckt worden. Einmal jährlich besuchte meine Mutter es während der fünf langen Jahre des Ausbrütens. Sie traute sich nicht häufiger zu kommen, da sie sich ob ihres schuldbeladenen Gewissens ständig beobachtet fühlte. Während dieser Zeit erlangte mein Vater große Anerkennung als Krieger. Er hatte inzwischen das Metall verschiedener Anführer erbeutet. Seine Liebe zu meiner Mutter war unvermindert geblieben, und eines seiner Lebensziele war, Tal Hajus das Metall zu abzunehmen, um sich dann als Herrscher der Thark öffentlich zu ihr bekennen zu können und kraft seiner Macht das Kind zu beschützen, das man anderenfalls schnell töten würde, sollte die Wahrheit ans Licht kommen.
Es war ein kühner Traum, innerhalb nur fünf kurzer Jahre Tal Hajus das Metall entreißen zu wollen. Doch er machte schnell Fortschritte und hatte unter den Räten der Thark bald einen hohen Rang inne. Eines Tages ging die Möglichkeit jedoch für immer verloren, die geliebte Familie zu retten, denn er wurde zu einer langen Expedition in den eisbedeckten Süden verpflichtet, um mit den dortigen Bewohnern Krieg zu führen und Felle zu erbeuten. So sind die grünen Barsoomier: Sie arbeiten nicht für Dinge, die sie anderen mit Gewalt wegnehmen können.
Er war vier Jahre fort, und als er zurückkehrte, war es schon drei Jahre zu spät, denn ungefähr ein Jahr nach seiner Abreise war das Junge ausgeschlüpft, kurz vorm Eintreffen eines Trupps, der die Früchte der Gemeinschaft aus dem Inkubator holen sollte. Meine Mutter hielt mich daraufhin in dem alten Turm versteckt, besuchte mich des Nachts und überhäufte mich mit all der Liebe, der uns die Gemeinschaft beraubt hätte. Sie hoffte, mich nach Rückkehr des Trupps von der Brutstation unter die anderen Jungen mischen zu können, die dem Gefolge Tal Hajus zugeteilt waren, um mir so das Schicksal zu ersparen, das der Entdeckung ihres sündhaften Verstoßes gegen die jahrhundertealten Traditionen der grünen Menschen mit Sicherheit folgen würde.
Schnell lehrte sie mich die Sprache und Bräuche unseres Volkes, und eines Nachts erzählte sie mir die Geschichte, wie ich sie dir bisher berichtet habe. Sie wies mich nachdrücklich darauf hin, alles absolut geheim zu halten und äußerst vorsichtig zu sein, wenn sie mich zu den anderen Jungen gebracht hatte, damit niemand errate, daß ich von der Bildung her weiter war. Auch sollte ich in Gegenwart anderer in keiner Weise meine Zuneigung für sie zu erkennen geben oder offenbaren, daß ich meine
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