Mars Trilogie 1 - Roter Mars
Der Wind war hier schwächer, aber auch so war das Absenken Nadias in der Schlinge schrecklich. Immer tiefer hinein in die rasende Wolken aus gelbem Staub schwang sie vor und zurück. Und dann war der Boden direkt unter ihren Füßen! Sie traf auf und zog sich an einen Halt. Einmal aus der Schlinge heraus, stemmte sie sich gegen den Wind, der sie trotz geringer materieller Dichte geradezu mit Schlägen traktierte. Ihr altes Gefühl von Hohlheit war überdeutlich. Die Sicht schwankte in Wellen; und der Staub flog so rasch vorbei, daß er ihr die Orientierung raubte. Auf der Erde würde ein derart schneller Wind einen einfach hochheben und wie einen Strohhalm in einem Tornado herumschleudern.
Aber hier konnte man sich, wenn auch nur sehr knapp, am Boden halten. Arkady hatte das Luftschiff langsam an der Ankerwinde heruntergezogen, und jetzt blähte es sich über ihr wie ein grünes Dach. Darunter war es unheimlich finster. Nadia spulte die Drähte zu den Turboprops an den Flügelspitzen ab, befestigte sie am Schiff und klemmte sie an die Kontakte im Innern. Sie arbeitete rasch, um nur möglichst kurz dem Staub ausgesetzt zu sein und unter der Arrowhead hervorzukommen, die im Wind hüpfte. Mit Mühe bohrte sie Löcher in den Boden der Gondel und befestigte zehn Windmühlen mit Schrauben. Während sie die Verdrahtung von dort zu dem Rumpf aus Plastik zog, sank das ganze Luftschiff so schnell, daß sie sich mit gespreizten Armen und Beinen mit dem Gesicht auf den kalten Boden fallen lassen mußte. Der Bohrer war ein harter Brocken unter ihrem Magen. »Mist!« brüllte sie. Arkady rief über Interkom: »Was ist los?« Sie sagte: »Nichts«, sprang auf und machte noch schneller weiter. »Verfluchtes Ding! Es ist, als ob man auf einem Trampolin arbeiten würde...« Als sie dann fertig wurde, frischte der Wind wieder auf, und sie mußte zurück in den Bombenschacht kriechen. Ihr Atem rasselte in heftigen Stößen.
»Das verdammte Ding hat mich beinahe zerquetscht!« brüllte sie Arkady nach vorn zu, als sie den Helm abgenommen hatte. Während er arbeitete, den Anker loszuhaken, stolperte sie im Innern der Gondel herum, griff sich Dinge, die sie nicht brauchen würden, und warf sie in den Bombenschacht. Eine Lampe, eine der Matrazen, die meisten Küchenutensilien und Eßgeschirr, einige Bücher, alle Gesteinsproben. Dann ging sie in den Schacht und ließ alles fröhlich hinunterplumpsen. Sie dachte, falls jemals ein Reisender auf diesen Haufen stoßen würde, er sich bestimmt wundern würde, was da passiert war.
Sie mußten beide Propeller mit voller Kraft laufen lassen, um den Anker frei zu bekommen. Als es ihnen endlich gelang, flogen sie dahin wie ein welkes Blatt im November. Sie ließen die Motoren weiter voll laufen, um so schnell wie möglich Höhe zu gewinnen. Es lagen einige kleine Vulkane zwischen Olympus und Tharsis, und Arkady wollte einige hundert Meter über ihnen fahren. Der Radarschirm zeigte, daß Ascraeus Mons hinter ihnen zurückblieb. Als sie gut nördlich von ihm waren, konnten sie nach Ost wenden und versuchen, einen Kurs um die Nordflanke von Tharsis zu finden und dann hinab nach Underhill.
Aber im Verlauf der langen Stunden stellten sie fest, daß der Wind den Nordhang von Tharsis herabgebraust kam, genau ihnen entgegen, so daß sie auch bei voller Kraft nach Südosten gewandt höchstens nach Nordosten vorankommen konnten. Bei den Versuchen, gegen den Wind zu kreuzen, hüpfte die arme Arrowhead wie ein Gleitflieger und riß sie auf und ab, auf und ab, als ob die Gondel unter einem Trampolin befestigt wäre. Aber trotz allem kamen sie nicht in der gewünschten Richtung voran.
Es wurde wieder dunkel. Sie wurden weiter nach Nordosten getrieben. Bei diesem Kurs würden sie Underhill um einige hundert Kilometer verfehlen. Und dahinter nichts, überhaupt keine Siedlungen, keine Zuflucht. Sie würden über Acidalia geblasen werden, hinauf zu Vastitas Borealis und dem leeren versteinerten Meer schwarzer Dünen. Und sie hatten nicht genug Nahrung und Wasser, um den Planeten noch einmal zu umrunden und es noch einmal zu versuchen.
Nadia fühlte Staub in Mund und Augen. Sie ging wieder in die Küche und erwärmte ihnen eine Mahlzeit. Sie war schon erschöpft, und als der Geruch von Essen die Luft erfüllte, merkte sie, daß sie auch sehr hungrig war. Außerdem durstig. Und der Wasseraufbereiter wurde mit Hydrazin betrieben...
Bei dem Gedanken an Wasser kam ihr ein Bild von der Fahrt zum Nordpol in den Sinn:
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