Mars Trilogie 1 - Roter Mars
ausdenken kann, läßt sich machen!« Sie gingen langsam um das gigantische schwarze Objekt vor ihnen herum. Nichts weiter als ein Abraumlaster, nichts im Vergleich mit dem, was der Raumlift sein würde. Aber selbst schon dieser Lastwagen, dachte er, war ein erstaunliches Ding. »Muskeln und Gehirn sind durch eine robotische Armatur verlängert worden, die so groß und stark ist, daß man es kaum fassen kann. Vielleicht unmöglich. Wahrscheinlich ist es ein Teil deines Talents - und auch dessen von Sax -, die Muskeln in bisher unerhörter Weise einzusetzen. Ich meine Löcher, die direkt durch die Lithosphäre gebohrt werden, der Terminator beleuchtet durch gespiegeltes Sonnenlicht, alle die Städte, die Mesas füllen und in den Flanken von Klippen stecken - und jetzt ein Kabel bis weit über Phobos und Deimos hinaus, so lang, daß es aus dem Orbit heraus bis nach unten reicht. So etwas kann man sich nicht vorstellen!«
»Es ist nicht unmöglich«, bemerkte Nadia.
»Nein. Und jetzt sehen wir natürlich Zeugnisse unserer Macht ringsumher. Wir werden davon fast überrannt, wenn es funktioniert. Und Sehen heißt Glauben. Selbst ohne Phantasie kannst du sehen, welche Macht wir haben. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb die Dinge jetzt so seltsam laufen. Jedermann spricht über Souveränität, Kämpfe und Gebietsansprüche. Die Leute quatschen wie jene alten Götter auf dem Olymp, weil wir fast so mächtig sind wie sie.«
»Oder noch mehr«, sagte Nadia.
Er fuhr weiter zu den Hellespontus Montes, der gebogenen Bergkette, die das Hellas-Becken umgibt. Irgendwie geriet eines Nachts, als er schlief, sein Rover von der Transponderstraße ab. Er erwachte und sah bei Lücken im Staub, daß er sich in einem engen Tal befand mit Wänden aus kleinen Klippen, eingeschnitten, wie sie typisch für Überflutungen waren. Es erschien wahrscheinlich, daß er, wenn er auf dem Talboden bliebe, die Straße wieder kreuzen würde. Also fuhr er querfeldein los. Dann war der Talboden durch flache Quergräben unterbrochen wie leere Kanäle; und Pauline mußte wiederholt anhalten, wenden und eine andere Abzweigung in ihrem Straßen findenden Algorithmus suchen, abgeschlagen durch eine Schlucht nach der anderen, wie sie aus der Finsternis auftauchten. Als John ungeduldig wurde und versuchte zu übernehmen, wurde es nur noch schlimmer. Im Lande der Blinden ist der Autopilot König.
Aber langsam näherte er sich der Talmündung, wo die Karte anzeigte, daß die Transponderstraße in ein weiteres Tal unten abstieg. Also machte er in dieser Nacht unbekümmert halt, saß vor dem Fernseher und nahm eine Mahlzeit ein. Mangalavid zeigte die Erstaufführung einer Aeolia, die von einer Gruppe in Noctis Labyrinthus erbaut war. Die Aeolia erwies sich als ein kleines Gebäude mit Öffnungen, durch die es pfiff oder tönte oder quietschte, je nach dem Winkel und der Stärke des Windes, der darauf traf. Für die Premiere war der tägliche ins Tal führende Wind von Noctis verstärkt durch einige wilde Fallböen des Sturms; und die Musik fluktuierte wie eine Komposition - klagend, ärgerlich, dissonant oder plötzlich harmonisch. Sie schien das Werk eines Geistes zu sein, vielleicht eines fremden Geistes, war aber sicherlich mehr als ein Zufallsprodukt. Die fast aleatorische Aeolia, wie ein Kommentator sagte.
Danach kamen Nachrichten von der Erde. Die Existenz gerontologischer Behandlungen war durch einen Beamten in Genf durchgesickert und in einem Tage um die Welt gerast. Jetzt lief eine heftige Debatte in der Generalversammlung darüber. Viele Delegierte verlangten, daß die Behandlungen zu einem menschlichen Grundrecht erklärt werden sollten, durch die UN für alle garantiert, finanziert durch die entwickelten Nationen, die sofort einen Pool bilden müßten, um zu gewährleisten, daß die Bezahlung der Behandlungen gleichermaßen allen zugänglich wäre. Inzwischen trafen andere Meldungen ein. Einige religiöse Führer, unter ihnen der Papst, traten gegen eine derartige Behandlung auf. Es gab weithin Krawalle und einige Schadensfälle in gewissen medizinischen Zentren. Regierungen waren in Unruhe. Alle Gesichter auf dem Bildschirm zeigten Erregung oder Wut und verlangten Änderungen. Und alles an Ungleichheit, Haß und Elend, das die Gesichter zeigten, ließ John zurückzucken. Er konnte das nicht ansehen. Er fiel in einen kümmerlichen Schlaf.
Er träumte von Frank, als ihn ein Geräusch weckte. Ein Klopfen an seiner Windschutzscheibe. Es war
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