Mars Trilogie 1 - Roter Mars
aus der Dunkelheit der Vorgeschichte als dichtes Gewirr heraus und erstrecken sich durch die Zeit. Ein Kabel von der Größe der Erde selbst, das die Sonne auf langer Spiralbahn umrundet. Dieses Kabel einer verflochtenen Welt ist die Geschichte. Wenn man sieht, wo es gewesen ist, ist es klar, wohin es läuft. Das ist eine Sache einfacher Extrapolation. Denn welche Art von Av würde es erfordern, der Geschichte zu entrinnen, einer Trägheit, die so mächtig ist, und einen neuen Kurs zu bahnen?
Der härteste Teil ist, die Erde hinter sich zu lassen.
D ie Form der Ares verlieh der Realität eine Struktur. Das Vakuum zwischen Erde und Mars kam Maya allmählich vor wie eine lange Reihe von Zylindern, die an ihren Verbindungsstellen um Winkel von fünfundvierzig Grad gedreht waren. Es gab eine Rennbahn, eine Art von Hindernisstrecke, um Torus C. An jeder Ecke verlangsamte sie ihren Lauf und spannte ihre Beine für den erhöhten Druck von zwei Knicken um 22,5 Grad. Dann konnte sie plötzlich die Länge des nächsten Zylinders sehen. Es schien eine recht enge Welt zu sein.
Vielleicht als Ausgleich dafür fingen die Menschen im Innern an größer zu werden. Der Prozeß des Abwerfens ihrer antarktischen Masken dauerte an. Jedesmal, wenn jemand eine neue und bis dahin unbekannte Eigenschaft zeigte, gab das allen denen, die das bemerkten, ein Gefühl viel größerer Freiheit; und dieses Gefühl ließ weitere verborgene Züge hervortreten. Eines Sonntagmorgens feierten die Christen an Bord, etwa ein Dutzend an der Zahl, in der Kuppelhalle Ostern. Daheim war es April, obwohl in der Ares Mitsommer herrschte. Nach dem Gottesdienst gingen sie zum zweiten Frühstück in den Speisesaal von Torus D. Maya, Frank, John, Arkady und Sax saßen an einem Tisch und tranken Kaffee und Tee. Die Gespräche zwischen ihnen und mit anderen Tischen waren eng verflochten; und zuerst hörten nur Maya und Frank, was John zu Phyllis Boyle sagte, der Geologin, die den Ostergottesdienst abgehalten hatte.
»Ich verstehe die Idee des Universums als ein Superwesen, dessen ganze Energie die Gedanken dieses Wesens sind. Das ist eine hübsche Vorstellung. Aber die Geschichte von Christus...« John schüttelte den Kopf.
Phyllis fragte: »Kennst du die Geschichte wirklich?«
John antwortete kurz: »Ich wurde in Minnesota als Lutheraner erzogen. Ich ging zur Konfirmation. Mir wurde das ganze Zeug eingedrillt.«
Was, wie Maya dachte, wohl der Grund war, weshalb er sich in solche Diskussionen einmischen wollte. Er zeigte einen mißvergnügten Ausdruck, den Maya noch nie gesehen hatte; und sie beugte sich etwas vor und konzentrierte sich plötzlich. Sie sah Frank an. Der blickte in seine Kaffeetasse wie in eine Traumwelt. Sie war aber sicher, daß er zuhörte.
John sagte: »Man weiß doch längst, daß die Evangelien Jahrzehnte nach dem Ereignis geschrieben wurden, von Leuten, die Christus nie begegnet waren. Und es gibt andere Evangelien, die von einem anderen Christus künden, Evangelien, die in einem politischen Prozeß des dritten Jahrhunderts aus der Bibel verbannt wurden. Also ist Christus in Wirklichkeit eine literarische Gestalt, eine politische Konstruktion. Über den Mann selbst wissen wir nichts.«
Phyllis schüttelte den Kopf. »Das ist nicht wahr.«
»Doch, so ist es«, erwiderte John. Dies veranlaßte Sax und Arkady am Nebentisch hochzublicken. »Schau, all dieses Zeug hat eine Geschichte. Monotheismus ist ein Glaubenssystem, das man in frühen Viehzuchtgesellschaften auftauchen sieht. Je stärker ihre Abhängigkeit von der Viehzucht, desto wahrscheinlicher glauben sie an einen Hirtengott. Das ist eine exakte Korrelation, die man sehen und kartieren kann. Und der Gott ist immer männlich, weil jene Gesellschaften patriarchalisch waren. Es gibt eine Archäologie, eine Anthropologie, die das alles vollkommen deutlich macht - wie es dazu kam und welchen Bedürfnissen es entsprach.«
Phyllis sah ihn mit leichtem Lächeln an. »John, ich weiß nicht, was ich dazu sagen kann. Es ist schließlich doch keine Sache der Geschichte. Es ist eine Sache des Glaubens.«
»Glaubst du an die Wunder Christi?«
»Auf die Wunder kommt es nicht an. Es kommt nicht auf die Kirche oder deren Dogma an. Jesus selbst ist es, auf den es ankommt.«
»Der ist doch aber nur eine literarische Konstruktion«, beharrte John. »Etwas wie Sherlock Holmes oder der Einsame Ranger. Und du hast meine Frage wegen der Wunder nicht beantwortet.«
Phyllis zuckte die Achseln. »Für
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