Mars Trilogie 1 - Roter Mars
Himmel ein, als ob sie in einem Höhenflugzeug darüber hinzögen. Die Tiefe von Valles Marineris war deutlich, ebenso die Höhe der vier großen Vulkane, deren breite Gipfel über dem Horizont erschienen, noch ehe die umgebende Landschaft in Sicht kam. Überall auf der Oberfläche gab es Krater. Deren runde Innenflächen waren lebhaft sandfarben, ein bißchen heller als die äußeren Gebiete. Vermutlich Staub. Die kurzen gezackten Bergketten waren dunkler als das umgebende Land - eine durch schwarze Schatten unterbrochene Rostfarbe. Aber sowohl die hellen wie die dunklen Farben waren nur leicht anders getönt als das allgegenwärtige rostig orangefarbene Rot, das alle Bergspitzen, Krater, Schluchten, Dünen und sogar der gekrümmte Streifen der von Staub erfüllten Atmosphäre aufwiesen, der hoch über der hellen Kurve des Planeten zu sehen war. Roter Mars! Er war durchbohrend und faszinierend. Das fühlten sie alle.
Sie verbrachten lange Stunden mit Arbeit, und das war endlich richtige Arbeit. Das Schiff mußte teilweise zerlegt werden. Der Hauptkörper würde zuletzt in einem Orbit nahe Phobos geparkt werden, um als Rückkehrvehikel für den Notfall dienen zu können. Aber zwanzig Tanks von den äußeren Längen des Nabenschachts brauchten nur von der Ares getrennt und als planetare Landefahrzeuge hergerichtet zu werden, die die Kolonisten in Fünfergruppen hinunterbringen sollten. Das erste davon sollte sofort landen, wenn es abgekoppelt und vorbereitet war. Darum arbeiteten sie schichtweise rund um die Uhr und verbrachten viel Zeit im freien Raum. Sie rückten zu den Essenszeiten müde und heißhungrig an und führten laute Gespräche. Die Langeweile der Reise schien vergessen. Eines Nachts schwebte Maya im Baderaum und machte sich fertig für das Bett. Ihre Muskeln fühlten sich steif an wie seit Monaten nicht mehr. Um sie herum plauderten Nadia und Sasha und Yeli Zudov fröhlich miteinander, und bei dem warmen Schwall von geläufigem Russisch gewann sie plötzlich den Eindruck, daß alle glücklich waren. Sie befanden sich im letzten Moment ihrer Erwartung - einer Erwartung, die schon ein halbes Leben lang in ihren Herzen geruht hatte, oder schon seit ihrer Kindheit - und jetzt plötzlich unter ihnen erblüht war wie die Zeichnung eines Kindes vom Mars. Sie wurde groß und klein, als ob sie in einem Jojo-Spiel vor ihnen vorwärts und rückwärts hüpfte in all ihrem immensen Potential. Tabula rasa, leere Tafel. Eine leere rote Tafel. Alles war möglich, alles konnte passieren. In diesem Sinne waren sie gerade in diesen letzten Tagen vollkommen frei. Frei von der Vergangenheit, frei von der Zukunft, schwerelos in ihrer warmen Luft, wie Geister umherschwebend, um eine materielle Welt auszustatten... Im Spiegel erwischte Maya einen Blick auf das vom Zähneputzen verzerrte Grinsen ihres Gesichts und packte ein Geländer, um ihre Position zu halten. Ihr kam der Gedanke, daß sie vielleicht nie wieder so glücklich sein würde. Schönheit war das Versprechen von Glück, aber nicht das Glück selbst; und die erwartete Welt war oft reicher als irgend etwas Reales. Aber wer konnte das diesmal sagen? Es könnte jetzt sogar endlich die goldene Zeit sein.
Sie ließ das Geländer los und spie Zahnpaste in einen Wasserbeutel. Dann schwebte sie in den Korridor zurück. Komme, was wolle, sie hatten ihr Ziel erreicht. Sie hatten zumindest die Chance für einen Versuch gewonnen.
Die Demontage der Ares bewirkte bei vielen ein seltsames Gefühl. Es war, wie John bemerkte, als ob man eine Stadt zerlegte und die Häuser nach allen Richtungen fortschleuderte. Unter dem Riesenauge des Mars wurden alle ihre Meinungsverschiedenheiten angespannter. Gewiß war es jetzt kritisch, und es war nur noch wenig Zeit. Die Leute diskutierten, offen oder unter der Oberfläche. Es gab jetzt so viele kleine Gruppen, die unter sich berieten... Was war aus jenem kurzen Moment des Glücks geworden? Maya gab hauptsächlich Arkady die Schuld. Er hatte die Büchse der Pandora geöffnet. Hätte sich ohne ihn und seine Reden die Farmgruppe so eng um Hiroko geschart? Hätte das medizinische Team sich so isoliert beraten? Sie meinte, nein.
Sie und Frank arbeiteten angestrengt, um Differenzen auszubügeln und einen Konsens zu schmieden, ihnen das Gefühl zu geben, daß sie immer noch ein geschlossenes Team bildeten. Dies schloß lange Konferenzen mit Phyllis und Arkady, Ann und Sax, Houston und Baikonur ein. Dabei entwickelte sich eine Beziehung
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