Mars Trilogie 1 - Roter Mars
steigen und zur Arbeit hinauszugehen.
Die Schutzanzüge waren für die Marsoberfläche konstruiert und nicht hermetisch wie Raumanzüge, sondern aus einem elastischen Gewebe, das den Körper ungefähr auf dem Druck der Erdatmosphäre hielt. Dadurch wurden die ernsthaften Verletzungen vermieden, die durch Expansion auftreten müßten, wenn die Haut der sehr dünnen Marsatmosphäre ausgesetzt würde. Aber die Träger hatten viel mehr Bewegungsfreiheit als in einem Druckanzug für den Weltraum. Diese Außenkleidung hatte auch den sehr wichtigen Vorzug, gegen Versagen gefeit zu sein. Nur der harte Helm war luftdicht. Wenn man sich also ein Loch am Knie oder Ellbogen riß, würde ein Stück der Haut verletzt und erfroren sein; man würde aber nicht binnen Minuten ersticken und sterben.
Aber das Anlegen des Anzugs war ein hartes Stück Arbeit. Nadia würgte erst die Hosen über ihr langes Unterzeug, stieg dann in die Jacke und verband die beiden Teile mit einem Reißverschluß. Danach stemmte sie sich in große geheizte Stiefel und schloß deren obere Ringe an die Ringe der Fußgelenke des Anzugs an. Dann setzte sie einen recht normalen Helm auf und verband ihn mit dem Halsring des Anzugs. Danach schulterte sie einen Rucksack mit dem Luftbehälter und verband dessen Schläuche mit dem Helm. Sie atmete ein paar Minuten lang heftig und schmeckte das kühle Gemisch aus Sauerstoff und Stickstoff im Gesicht. Das Armbandgerät des Anzugs zeigte an, daß alle Anschlüsse dicht waren, und sie folgte John und Samantha in die Schleuse. Sie schlossen die Innentür, die Luft wurde in die Behälter zurückgepumpt, und John entriegelte die Außentür. Dann traten alle drei ins Freie.
Es war jeden Morgen aufregend, auf die steinige Ebene hinauszugehen, wenn die Morgensonne lange schwarze Schatten nach Westen warf und die verschiedenen kleinen Buckel und Vertiefungen des Geländes deutlich hervortreten ließ. Gewöhnlich herrschte Südwind, und lockere Grusteilchen wurden in Wellen über den Boden getrieben, so daß die Steine manchmal zu kriechen schienen. Aber selbst der stärkste derartige Wind konnte kaum mit der ausgestreckten Hand gespürt werden. Allerdings hatten sie noch keinen richtigen Sturm erlebt. Bei 500 Kilometern in der Stunde würden sie sicher etwas merken. Bei zwanzig war es fast nichts.
Nadia und Samantha gingen zu einem der kleinen Geländewagen, die sie ausgepackt hatten, und stiegen hinein. Nadia fuhr den Rover über die Ebene zu einem Traktor, den sie am Vortag gefunden hatten, etwa ein Kilometer nach Westen. Die Morgenkälte biß durch ihren Anzug in einem rhombischen Muster wegen der X-förmigen Anordnung der Heizelemente im Material des Anzugs. Ein eigenartiges Gefühl, aber in Sibirien hatte sie es oft kälter gehabt, und sie beklagte sich nicht.
Sie kamen zu dem großen Lander und stiegen aus. Nadia nahm einen Bohrer mit einem Philips-Schraubenzieheransatz und fing an, den Verschlag über dem Vehikel abzubauen. Der Traktor darin war ein Mercedes-Benz. Sie steckte den Bohrer in einen Schraubenkopf, zog den Schalter und sah zu, wie sich die Schraube herausdrehte. Sie hob sie auf und machte sich grinsend an die nächste. Sie war in ihrer Jugend unzählige Male bei solcher Kälte ins Freie gegangen mit tauben und rissigen Händen und hatte titanische Kämpfe geführt, um festgefrorene oder überdrehte Schrauben zu lösen... Aber hier machte es wutsch, und die Schraube war heraus. Außerdem war es in dem Anzug wärmer als in Sibirien und freier als im Weltraum. Er behinderte nicht mehr als ein dünner steifer Tauchanzug. Ringsum waren Steine in unheimlicher Regelmäßigkeit verstreut. Stimmen schnatterten auf der gemeinsamen Frequenz: »He, ich habe diese Sonnenpaddel gefunden!« - »Wenn du denkst, daß das was ist - ich habe gerade den verdammten Kernreaktor gefunden.« Ja, es war ein großartiger Morgen auf dem Mars.
Die auf gestapelten Wände der Kiste bildeten eine Rampe, um den Traktor vom Lander herunterzufahren. Sie sahen anfangs nicht stark genug aus; aber da war wieder die Schwerkraft. Nadia hatte die Heizung des Traktors eingeschaltet, sobald sie herankam, und kletterte jetzt in die Kabine und tastete dem Autopiloten einen Befehl ein, da sie dachte, es wäre am besten, das Ding allein die Rampe herunterkommen zu lassen, während sie und Samantha von der Seite her zuschauten, nur für den Fall, daß die Rampe in der Kälte zerbrechlicher sein würde als erwartet, oder sonstwie unzuverlässig. Sie
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