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Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Titel: Mars Trilogie 1 - Roter Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Wintertagen in Sibirien; aber der geringe Luftdruck hatte sofort Blut aus einer Verletzung gesogen, das dann angefangen hatte zu gefrieren, wodurch die Wunde ohne Zweifel kleiner wurde, aber auch langsamer verheilen würde. Jedenfalls mußte man aufpassen; aber ermüdete Muskeln am Ende eines Arbeitstages wirkten irgendwie entspannend. Dazu kam das niedrigfarbene Sonnenlicht über der Ebene; und mit einemmal fühlte sie, daß sie glücklich war. In diesem Moment rief Arkady von Phobos aus an, und sie begrüßte ihn heiter. »Ich fühle mich genau so wie Louis Armstrong solo 1947.«
    »Warum 1947?« fragte er.
    »Nun, das war das Jahr, in dem er am glücklichsten geklungen hat. Während der meisten Zeit seines Lebens hatte sein Ton eine scharfe Note, wirklich schön; aber 1947 war er noch schöner, weil er diese lässige fließende Freude ausstrahlte, die man bei ihm nie zuvor oder später vernommen hat.«
    »Also ein gutes Jahr für ihn, nehme ich an?«
    »O ja! Ein erstaunliches Jahr! Schau, nach zwanzig Jahren schrecklicher Big Bands kam er wieder auf eine kleine Gruppe zurück wie die Hot Five. Das war die Gruppe, die er in seiner Jugend geleitet hatte. Und da war es nun wieder - die alten Songs, sogar einige der alten Gesichter. Und alles besser als beim ersten Mal. Die Aufzeichnungstechnik, das Geld, das Publikum, seine eigene Power... Es muß wie ein Jungbrunnen gewirkt haben, sage ich dir.«
    Arkady sagte: »Du wirst mir einige Aufzeichnungen schicken müssen.« Er versuchte zu singen: »I cant give you anything but love, baby!« Phobos stand gerade am Horizont, und er hatte sich nur noch verabschieden können. Ehe er verschwand, sagte er: »Das ist also dein Jahr 1947.«
    Nadia räumte ihr Werkzeug fort und sang das Lied korrekt. Und sie verstand, daß das, was Arkady gesagt hatte, stimmte. Mit ihr war etwas so Ähnliches geschehen wie bei Armstrong 1947 - denn trotz der miserablen Verhältnisse waren ihre Jugendjahre in Sibirien wirklich ihre glücklichsten gewesen. Und danach hatte sie zwanzig Jahre Big-Band-Kosmonautik ertragen müssen, bestimmt von Bürokratie und Simulationen, ein Leben in geschlossenen Räumen - das alles, um jetzt hier zu sein. Und nun war sie plötzlich wieder im Freien, baute mit ihren Händen Dinge und ging mit schweren Maschinen um. Sie löste täglich an die hundert Probleme, genau wie in Sibirien, nur besser. Es war genau wie Satchmos Wiederkehr!
    Als dann Hiroko auftauchte und sagte: »Nadia, dieser Gabelschlüssel ist in dieser Stellung total festgefroren«, sang Nadia ihr vor: »That's the only thing I'm thin- king of babyl« und stemmte ihn gegen einen Tisch wie einen Hammer. Dann drehte sie die Scheibe, um Hiroko zu zeigen, daß er nicht festsaß, und lachte über ihre Miene. »Die technische Lösung«, erklärte sie und ging summend in ihre Schleuse mit dem Gedanken, wie drollig Hiroko war, eine Frau, die ihr ganzes Ökosystem im Kopf hatte, aber keinen Nagel gerade einschlagen konnte.
    Und an diesem Abend sprach sie mit Sax über die Arbeit des Tages und mit Spencer über Glas; und mitten drin dabei fiel sie auf ihre Pritsche und kuschelte den Kopf ins Kissen. Sie fühlte sich ganz großartig, und der strahlende Schlußchor von >Ain't Misbehauin< geleitete sie in den Schlaf.

A ber im Laufe der Zeit ändern sich die Dinge. Nichts dauert, nicht einmal Stein, nicht einmal Glück. Eines Abends sagte Phyllis: »Ist dir klar, daß es schon L s 170 ist? Sind wir bei L s 7 gelandet?«
    Also waren sie seit einem halben Jahr auf dem Mars. Phyllis benutzte den von Planetenforschern entworfenen Kalender, der unter den Kolonisten gebräuchlicher wurde als das System der Erde. Das Jahr dauerte auf dem Mars 668,6 Tage Ortszeit; und um zu sagen, wo sie sich in diesem langen Jahr befanden, diente der L s - Kalender. Dieses System erklärte die Linie zwischen Sonne und Mars bei dessen Frühlings-Tagundnachtgleiche als 0°; und dann wurde das Jahr in 360 Grade geteilt, so daß der Nordfrühling von L s = 0°-90° ging, 90°-180° der nördliche Sommer, 180°-270° der Nordherbst und 270°-360° - oder wieder 0° - der Winter auf der nördlichen Hemisphäre.
    Diese einfache Situation wurde kompliziert durch die Exzentrizität der Marsbahn, die nach irdischen Begriffen sehr groß ist; denn im Perihel ist der Mars der Sonne um etwa dreiundvierzig Millionen Kilometer näher als im Aphel und bekommt so etwa fünfundvierzig Prozent mehr Sonnenlicht. Diese Fluktuation macht die südlichen und

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