Mars Trilogie 1 - Roter Mars
Sie hatten noch keine Satellitenpeilungen.«
»Wie haben sie es dann gemacht?« fragte Nadia, plötzlich neugierig geworden.
Ann dachte darüber nach und lächelte. »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht sehr gut, fürchte ich. Vermutlich Koppelnavigation.«
Nadia wurde von diesem Problem gepackt und fing an, auf einem Skizzenblock daran zu arbeiten. Geometrie war nie ihre Stärke gewesen. Aber vermutlich würde die Sonne am Mittsommertag einen perfekten Kreis um den Horizont beschreiben, ohne höher oder tiefer zu gehen. Wenn man also in Nähe des Pols war und fast am Mittsommertag, könnte man die Höhe der Sonne über dem Horizont von Zeit zu Zeit messen... War das richtig?
»Das ist es«, sagte Ann.
»Was?«
Sie hielten den Rover an und sahen sich um. Die weiße Ebene erstreckte sich in Wellen bis zum nahen Horizont, ohne Merkmale außer einigen breiten roten Konturlinien. Diese Linien bildeten keine konzentrischen Kreise um sie herum, und es sah nicht so aus, als hätten sie irgendeinen Höhepunkt erreicht.
»Wo genau?« fragte Nadia.
»Nun, irgendwie gerade nördlich von hier.« Ann lächelte wieder. »Innerhalb von einem oder zwei Kilometern. Vielleicht in dieser Richtung.« Sie zeigte nach rechts. »Wir werden ein Stück dort hinübergehen und mit dem Satelliten wieder kontrollieren müssen. Ein wenig Triangulation, und wir sollten imstande sein, ihn auf den Kopf zu treffen. Jedenfalls plus oder minus etwa hundert Meter.«
»Wenn wir uns die Zeit nähmen, könnten wir es auf plus oder minus ein Meter bringen«, sagte Simon begeistert. »Laßt es uns genau festlegen!«
Also fuhren sie eine Minute lang weiter, befragten das Radio, machten nach rechts kehrt und fuhren weiter. Dann berieten sie sich wieder. Schließlich erklärte Ann, sie wären dort, oder nahe genug. Simon wies den Computer an, weiter daran zu arbeiten, und sie zogen sich an, gingen hinaus und wanderten etwas umher, um sich zu vergewissern, daß sie den Pol betreten hatten. Ann und Simon bohrten ein Loch. Nadia ging weiter, in einer Spirale, die vom Wagen wegführte. Eine rötliche weiße Ebene, der Horizont etwa vier Kilometer entfernt - zu nahe. Es überkam sie jäh, wie bei dem schwarzen Sonnenuntergang, daß dies fremdartig war. Eine scharfe Empfindung der Nähe des Horizonts, die traumhaft geringe Schwere, eine Welt, die nur eben so groß war und nicht größer... Und jetzt stand sie genau auf deren Nordpol. Es war L s = 92, so nahe dem Mittsommer, wie man verlangen konnte. Wenn sie also dastand, die Sonne direkt vor sich, und sich nicht bewegte, dann würde diese in gleicher Höhe bleiben und den Rest des Tages um sie kreisen, oder auch den Rest der Woche! Das war fremdartig. Sie drehte sich wie ein Kreisel. Wenn sie lange genug still stand, würde sie es dann fühlen?
Ihre polarisierte Visierscheibe reduzierte den Glanz der Sonne auf dem Eis zu einem Bogen aus kristallinen regenbogenfarbigen Punkten. Es war nicht sehr kalt. Sie konnte nur gerade eine Brise mit ihrer erhobenen Handfläche spüren. Ein lieblicher roter Streifen aus abgelagertem Schichtmaterial lief wie eine geographische Länge markierende Linie über den Horizont. Sie lachte bei diesem Gedanken. Um die Sonne herum war ein sehr schwacher Eisring, so groß, daß sein unterer Bogen eben den Horizont berührte. Eis sublimierte von der Polkappe und schimmerte oben in der Luft. Dadurch entstanden die Kristalle in dem Ring. Grinsend stampfte sie die Abdrücke ihrer Stiefel in den Nordpol des Mars.
An diesem Abend stellten sie die Polarisatoren so ein, daß sie ein sehr gedämpftes Bild der weißen Wüste in den Fenstern des Moduls umgab. Nadia hatte sich zurückgelehnt mit einer leeren Eßschüssel im Schoß und trank eine Tasse Kaffee. Die Digitaluhr sprang von 23.59.59 auf 0.00.00 und hielt an. Ihre Ruhe betonte die Stille im Wagen. Simon schlief, Ann saß im Fahrersitz und starrte auf die Szene hinaus. Sie hatte ihr Abendessen zur Hälfte verspeist. Kein Laut außer dem Summen des Ventilators. Nadia sagte: »Ich freue mich, daß du uns hier herauf gebracht hast. Es war großartig.«
»Irgendwer sollte sich darüber freuen«, erwiderte Ann. Wenn sie ärgerlich oder mürrisch war, wurde ihre Stimme flach und distanziert. »Es wird hier nicht lange so bleiben.«
»Bist du sicher, Ann? Das Eis ist hier fünf Kilometer tief, hast du doch gesagt. Denkst du wirklich, daß es vollkommen verschwinden wird, bloß weil schwarzer Staub darauf liegt?«
Ann zuckte die
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