Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
noch im Halbschlaf zu Nadia: »Ich verliere den Gehalt der Dinge. Ich sehe jetzt bloß Formen.«
»Du wirst Schweizer, ja? Geh wieder schlafen!«
Er haute sich wieder hin. »Ich war verrückt zu denken, daß ihr Leute irgend etwas gemeinsam würdet tun können«, murmelte er.
»Schlaf weiter!«
Wahrscheinlich war es verrückt, dachte sie, als er schnaufte und schnarchte. Sie stand auf und ging zur Tür. Sie fühlte im Kopf das Gefühlsdurcheinander, welches ihr sagte, daß sie nicht würde schlafen können. Also ging sie hinaus in den Park.
Die Luft war noch warm und die schwarzen Oberlichter voller Sterne. Die Länge des Tunnels erinnerte sie plötzlich an einen der vollen Räume in der Ares. Nur waren sie hier gewaltig vergrößert, aber unter Anwendung der gleichen Ästhetik. Schwach erhellte Pavillons, die dunklen pelzartigen Klumpen kleiner Wälder ... Ein Spiel über die Erbauung einer Welt. Aber hier ging es um eine echte Welt. Zunächst waren die Besucher des Kongresses fast schwindlig vor seinem enormen Potential; und manche, wie Jackie und andere Eingeborene, waren jung und unerschütterlich genug, um immer noch diesen Eindruck zu haben. Aber für viele der anderen Repräsentanten begannen sich die unlösbaren Probleme zu zeigen wie knorrige Knochen unter schrumpfendem Fleisch. Der Rest der Ersten Hundert, die alten Japaner von Sabishii - die saßen in diesen Tagen herum, paßten auf und dachten angestrengt nach, wobei ihre Haltung von Mayas Zynismus bis zu Marinas ängstlicher Besorgnis variierte.
Und dann sah sie tief unter sich im Park Cojote, der leicht beschwipst aus dem Wald kam mit einer jungen Frau, die ihn um die Taille gefaßt hatte. »O mein Schatz«, rief er mit weit ausgebreiteten Armen durch den langen Tunnel, »könnten wir beide uns mit dem Schicksal verbünden - um dies jämmerliche Schema der Dinge ganz zu erfassen -, würden wir es doch in Scherben schlagen und dann - es näher dem Verlangen des Herzens neu gestalten!«
Ja wirklich, dachte Nadia lächelnd und ging in ihr Zimmer.
Es gab einige Gründe zur Hoffnung. Einerseits war Hiroko beharrlich, besuchte alle Tage Meetings, äußerte dazu ihre Gedanken und gab den Leuten das Gefühl, sie hätten in diesem Moment das wichtigste Meeting erwählt. Und Ann arbeitete auch - obwohl sie, wie Nadia dachte, alles zu kritisieren schien, finsterer denn je - und Spencer und Sax, Maya und Michel, und Vlad mit Ursula und Marina. Tatsächlich schienen die Ersten Hundert für Nadia besser in diesem Streben vereint zu sein als in irgend etwas, das sie seit der Gründung von Underhill getan hatten, als ob es ihre letzte Chance wäre, die Dinge in Ordnung zu bringen und sich von dem angerichteten Schaden zu erholen. Etwas um ihrer toten Freunde willen zu tun.
Und sie waren nicht die einzigen, die arbeiteten. Während die Meetings weitergingen, bekamen die Leute ein Gespür dafür, wer wollte, daß der Kongreß ein greifbares Ziel erreichen müßte; und diese Leute gewöhnten es sich an, eben diese Meetings zu besuchen. Sie arbeiteten hart, um Kompromisse zu finden und Resultate auf Bildschirmen zu erzielen in Form von Empfehlungen und dergleichen. Sie mußten Besuche von jenen dulden, die mehr an Effekthascherei als Ergebnissen interessiert waren. Aber sie mühten sich weiter ab.
Nadia konzentrierte sich auf diese Anzeichen von Fortschritt und arbeitete daran, Nirgal und Art auf dem laufenden, aber auch satt und ausgeruht zu halten. Es kamen Leute in ihre Suite: »Man hat uns aufgetragen, dies den großen Drei zu überbringen.« Viele ernsthafte Arbeiter waren interessant. Eine Frau von Dorsa Brevia namens Charlotte war eine angesehene Wissenschaftlerin in Verfassungsfragen und errichtete für sie eine Art Rahmenwerk, einem in der Schweiz ähnlichen Verfahren, worin Themen, die behandelt werden mußten, angeordnet wurden, ohne sie zu erschöpfen. »Freut euch!« sagte sie den dreien eines Morgens, als die mit trüber Miene herumsaßen. »Ein Zusammenstoß von Doktrinen ist eine Chance. Der amerikanische Verfassungskongreß war einer der erfolgreichsten aller Zeiten, und man hat ihn mit etlichen sehr starken Antagonismen begonnen. Die Form der von ihm geschaffenen Regierung spiegelt das Mißtrauen wider, das diese Gruppen gegeneinander hegten. Kleine Staaten waren anfänglich besorgt, von den größeren überwältigt zu werden; darum gibt es einen Senat, in dem alle Staaten gleich sind, und ein Haus, in dem die größeren Staaten mit ihren
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