Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
rollte einen Wagen mit Getränken auf die Bühne und schlug vor: »Vielleicht sollten wir uns auf einige aktuelle Rechte konzentrieren. Vielleicht einen Blick auf die verschiedenen Erklärungen der Menschenrechte auf der Erde werfen und sehen, ob sie für uns hier angepaßt werden können.«
Nadia ging weiter, um in einige andere Meetings hineinzuhören. Landnutzung, Eigentumsrecht, Kriminalrecht, Erbschaftswesen ... Die Schweizer hatten das Thema der Regierung in eine erstaunliche Anzahl von Unterkategorien aufgeteilt. Die Anarchisten waren verärgert, unter ihnen an erster Stelle Mikhail. »Müssen wir wirklich all dies durchkauen?« fragte er immer wieder. »Nichts davon sollte sich durchsetzen. Gar nichts!«
Nadia hätte erwartet, daß Cojote unter denen sein würde, die mit ihm stritten; aber der sagte bloß: »Wir müssen das alles diskutieren. Selbst wenn du keinen Staat willst oder nur einen minimalen Staat, mußt du das Punkt für Punkt durchsprechen. Zumal die meisten Minimalisten genau das ökonomische und Polizeisystem behalten wollen, in dem sie privilegiert bleiben. Das heißt für euch Libertinisten - Anarchisten, die Polizeischutz vor ihren Sklaven haben wollen. Nein! Wenn ihr den minimalen Staat anstrebt, müßt ihr ihn von Grund auf durchsprechen.«
Mikhail sagte: »Aber ich meine - Erbschaftsrecht?«
»Gewiß, warum nicht? Das ist ein kritischer Punkt. Ich sage, es sollte überhaupt keine Erbschaft geben, vielleicht außer ein paar persönlichen Objekten, die man weitergibt. Aber alles übrige sollte an den Mars zurückfallen. Es ist ein Teil der Gabe, nicht wahr?«
»Alles übrige?« fragte Vlad interessiert. »Aber woraus soll das genau bestehen? Niemand wird etwas besitzen von Land, Wasser, Luft, Infrastruktur, GenStamm, Informationspool - was bleibt dann zum Weitergeben?«
Cojote zuckte die Achseln. »Dein Haus? Dein Sparkonto? Ich meine, werden wir kein Geld haben? Und werden die Leute nicht Überschüsse ansammeln, wenn sie können?«
»Du mußt in die Finanzsitzungen gehen«, sagte Marina zu Cojote. »Wir hoffen, Geld auf Basis von Wasserstoffperoxid zu schaffen und die Preise für Dinge nach Energiewerten zu bemessen.«
»Aber Geld wird es immer noch geben, nicht wahr?«
»Ja, aber wir erwägen zum Beispiel umgekehrte Zinsen bei Sparguthaben, so daß das, was man von dem Ertrag nicht wieder in Gebrauch genommen hat, als Stickstoff in die Atmosphäre entlassen wird. Du wärst überrascht, wie schwer es ist, in diesem System eine positive persönliche Bilanz zu behalten.«
»Wenn du es aber schafftest?«
»Nun, ich pflichte dir bei - im Todesfall sollte es an den Mars zurückgehen und für einen öffentlichen Zweck genutzt werden.«
Sax wandte zweifelnd dagegen ein, daß dies der bioethischen Theorie widerspräche, wonach menschliche Wesen wie alle Tiere stark motiviert seien, um für ihre Nachkommenschaft zu sorgen. Dieses Streben könne man in der ganzen Natur beobachten und in allen menschlichen Kulturen, wodurch Verhalten oft als sowohl egoistisch wie altruistisch erklärt würde. »Versuche, die babylonische - die biologische - Basis der Kultur - durch Dekret zu ändern... fordert Ärger heraus.«
Cojote sagte: »Vielleicht sollte eine animalische Vererbung gestattet sein«, sagte Cojote. »Genug, um diesen animalischen Instinkt zu befriedigen, aber nicht genug, um auf Dauer eine reiche Elite zu ermöglichen.«
Marina und Vlad fanden das gewiß verlockend und fingen an, neue Formeln in ihre Computer einzugeben. Aber Mikhail, der neben Nadia saß und sein Programm für den Tag durchsah, war immer noch frustriert. Er sagte mit einem Blick auf die Liste: »Ist das wirklich Teil eines konstituierenden Prozesses? Zonencodes, Energieproduktion, Abfallentsorgung, Transportsysteme, Pestmanagement, Eigentumsrecht, Beschwerdesysteme, Strafrecht, schiedsrichterliche Verfahren, Gesundheitscodes?«
Nadia seufzte. »Ich vermute, ja. Denk daran, wie schwer Arkady über Architektur gearbeitet hat!«
»Schulpläne? Ich glaube, von Mikropolitik gehört zu haben. Aber das ist lächerlich.«
»Nanopolitik«, sagte Art.
»Nein, Pikopolitik! Femtopolitik!«
Nadia stand auf, um Art zu helfen, den Getränkewagen zu den Workshops im Dorf unterhalb des Amphitheaters zu schieben. Art lief immer noch von einem Meeting zum nächsten, rollte Speise und Trank hinein und erwischte dann ein paar Minuten der Reden, ehe er weiterzog. Es gab acht bis zehn Meetings am Tage, und Art tauchte noch bei allen
Weitere Kostenlose Bücher