Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
einen Stuhl. Es war windig. Er blies sein kleines Pilzzelt auf. Es stand vor ihm, transparent in der Dämmerung. Er holte das Bettzeug, die Lampe, das Lesegerät und alles andere hastig aus seinem Faltsack auf der Suche nach Essen. Die ganze Ausrüstung war durch den jahrelangen Gebrauch abgewetzt und federleicht. Sein Gerätesack wog alles zusammen weniger als drei Kilo. Und dann war alles an seinem Platz, der von einer Batterie geheizte Herd, der Speisesack und die Wasserflasche.
Die Abenddämmerung ging in Himalaya-Majestät vorbei, während er sich einen Topf Pulversuppe kochte und mit gekreuzten Beinen auf seinem Schlafpolster gegen die klare Wand des Zeltes gelehnt saß. Die erschöpften Muskeln genossen den Luxus des Sitzens. Wieder ein schöner Tag.
Er schlief in dieser Nacht schlecht und stand im kalten Wind erschauernd noch vor der Morgendämmerung auf, packte rasch und lief weiter gen Westen. Aus dem letzten wilden Gelände von Aromatum kam er an die nördliche Küste der Ganges-Bay. Die dunkelblaue Fläche der Bucht lag beim Laufen zu seiner Rechten. Hier lagen hinter den langen Stränden die weiten von kurzem Gras bedeckten Sanddünen, auf denen es sich leicht laufen ließ. Nirgal glitt in seinem Rhythmus dahin, das Meer oder den Taigawald zu seiner Rechten im Blick.
Entlang dieser Küste waren Millionen Bäume gepflanzt worden, um den Boden zu festigen und Staubstürme abzuhalten. Der große Wald von Ophir war eine der am schwächsten besiedelten Regionen auf dem Mars. Er war in den frühen Jahren seines Bestehens nur selten besucht worden und hatte nie eine Kuppelstadt beherbergt. Tiefe Ablagerungen von Staub und Grus hatten die Reisenden entmutigt. Jetzt waren diese Ablagerungen durch den Wald etwas fixiert; aber an den Ufern der Flüsse gab es Sümpfe und Flugsandseen und instabile Lößbuckel, die das Gitterdach der Zweige und Blätter durchstießen. Nirgal hielt sich an der Grenze zwischen Wald und See auf den Dünen oder zwischen Gruppen kleinerer Bäume. Er überquerte etliche kleine Brücken, die die Flußmündungen überspannten. Eine Nacht verbrachte er am Strand, in den Schlaf gesungen vom Geräusch der brechenden Wellen.
Am nächsten Tag folgte er in der Frühdämmerung dem Pfad unter dem kühlenden Baldachin grüner Blätter. Die Küste war am Damm von Ganges Chasma ausgelaufen. Das Licht war schwach und kühl. Zu dieser Stunde sah jedes Ding wie ein Schatten seiner selbst aus. Schwache Pfade zweigten bergauf nach links ab. Der Wald hier bestand größtenteils aus Koniferen. Rotholz in hohen Hainen, umgeben von kleineren Fichten und Wacholderbüschen. Der Waldboden war mit trockenen Nadeln bedeckt. An feuchten Stellen brachen Farne durch diese braune Matte und fügten ihre archaischen Fraktale dem von der Sonne gesprenkelten Boden hinzu. Ein Strom schlängelte sich zwischen schmalen, grasbewachsenen Inseln hindurch. Nirgal konnte kaum mehr als hundert Meter weit sehen. Grün und Braun waren die vorherrschenden Farben. Das einzig sichtbare Rot war das der haarigen Rinde der Rothölzer. Pfeile aus Sonnenlicht tanzten wie schlanke Lebewesen über den Waldboden. Nirgal lief selbstverloren dahin, hypnotisiert, wenn er zwischen diesen Lichtpfeilen hindurchschoß. Auf Steinen hüpfte er über den seichten Bach einer von Farnen bedeckten Lichtung. Es war, als ginge man durch einen Raum, der sich zu ähnlichen Korridoren flußaufwärts und -abwärts erweiterte. Ein kurzer Wasserfall gurgelte zu seiner Linken.
Er hielt a n, um vom Wasser des Bachs zu trinken. Als er sich dann aufrichtete, sah er ein Murmeltier, das unter dem Wasserfall übers Moos watschelte. Er empfand einen jähen Stich ins Herz. Das Murmeltier trank und wusch sich Pfoten und Gesicht. Es bemerkte Nirgal nicht.
Dann war ein Rascheln zu hören, und das Murmeltier rannte fort und wurde von einem Husch aus geflecktem Fell und weißen Zähnen begraben. Ein großer Luchs hatte die Kehle des Murmeltiers mit kräftigen Klauen gepackt, schüttelte die kleine Kreatur rauh und preßte sie unter eine große Tatze, daß sie sich nicht mehr rühren konnte.
Nirgal hatte im Moment der Attacke einen Sprung gemacht. Und als jetzt der Luchs über seiner Beute stand, schaute er in Nirgals Richtung, ganz als ob er eben jetzt erst die Bewegung bemerkt hätte. Seine Augen glitzerten in dem trüben Licht, das Maul war blutig. Nirgal schauderte es; und als die Katze ihn sah und sich ihre Blicke festhielten, sah er, daß sie auf ihn zu lief und
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