Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
kann. Nachts im Bett dachte sie immer wieder, dies wäre für diese Nacht das letzte Mal, und sie drückte Michel fest an sich, als könnte sie dem Geschehen Einhalt gebieten, wenn sie nur kräftig genug drückte. Selbst Michel, selbst die kleine Welt der Zweisamkeit, die sie sich geschaffen hatten... »O Michel«, sagte sie ängstlich, »es geht so schnell.«
Er nickte mit gespitzten Lippen. Er versuchte nicht mehr länger, sie zu therapieren und zu allem immer das fröhlichste Gesicht zu machen. Er behandelte sie jetzt auf gleicher Ebene und ihre Launen als eine Art von Wahrheit, die nur ihr zustand. Manchmal fehlte ihr der Trost.
Aber Michel lieferte keinen Widerspruch und keine hoffnungsvolle Bemerkung. Spencer war sein Freund gewesen. Früher, in den Odessa-Jahren, wenn er und Maya sich gestritten hatten, war er manchmal zum Schlafen zu Spencer gegangen und sicher auch, um bis in die späte Nacht über Gläsern voll Wiskey zu plaudern. Wenn überhaupt jemand etwas aus Spencer herausholen konnte, war das Michel gewesen. Jetzt saß er auf dem Bett und blickte aus dem Fenster, ein müder alter Mann. Sie zankten sich nie mehr. Maya hatte den Eindruck, daß es ihr irgendwie gut tun könnte, wenn sie es täten. Die Spinnweben beseitigen, sich wieder aufladen. Aber Michel reagierte auf keine Provokation. Er selbst hatte keine Lust zu streiten und gab ihr auch keine Behandlung mehr. Das wollte er auch um ihretwillen nicht tun. Maya dachte, wenn jemand hereinkäme, würde er ein Paar sehen, das so alt und verbraucht war, daß sie sich nicht einmal mehr bemühten, miteinander zu sprechen. Bloß beisammen saßen, jeder mit seinen Gedanken allein.
»Nun«, sagte Michel nach sehr langer Zeit, »aber hier sind wir.«
Maya lächelte. Diese endlich geäußerte hoffnungsvolle Bemerkung bedeutete eine große Anstrengung. Er war ein braver Mann. Und zitierte die ersten auf dem Mars gefallenen Worte. John hatte eine drollige Art gehabt, sich auszudrücken. »Hier sind wir.« Das war eigentlich blöde. Und dennoch hätte er etwas mehr gemeint haben können als die für John typische Aussage. War es mehr gewesen als die gedankenlose Äußerung, die jeder machen könnte? »Hier sind wir«, wiederholte sie und wog den Satz auf der Zunge. Auf dem Mars. Erst eine Idee, dann ein Ort. Und jetzt waren sie in einem fast leeren Schlafzimmer, nicht dem, worin sie vorher gewohnt hatten, sondern in einem Eckzimmer mit Blick aus großen Fenstern nach Süden und Westen. Die große Kurve von Meer und Gebirge, die Odessa hieß. Nirgendwo sonst. Die alten verputzten Wände waren fleckig, die hölzernen Fußböden dunkel und blank gescheuert. Es hatte viele Lebensjahre erfordert, die Patina zu erzeugen. Wohnzimmer durch die eine Tür, Gang zur Küche durch die andere. Sie hatten eine Matratze auf einem Gestell, eine Couch, ein paar Stühle und einige noch nicht geöffnete Kisten - ihre Sachen von früher, aus dem Speicher geholt. Seltsam, wie ein paar Möbelstücke sich so herumtreiben konnten. Sie fühlte sich bei ihrem Anblick wohler. Sie würden auspacken, die Sachen aufstellen und benutzen, bis sie unsichtbar würden. Gewohnheit würde wieder die nackte Wirklichkeit der Welt verhüllen. Gott sei Dank dafür!
Bald danach wurden die globalen Wahlen abgehalten, und der Freie Mars und eine Schar kleiner Verbündeter kehrten mit überwältigender Mehrheit wieder in die globale Regierung zurück. Der Sieg war allerdings nicht ganz so groß, wie man erwartet hatte, und einige Verbündete murrten und sahen sich nach besseren Abmachungen um. Mangala strotzte von Gerüchten. Man hätte Tage am Schirm verbringen können mit der Lektüre, die Kolumnisten, Analytiker und Provokateure einspeisten, um die Möglichkeiten und Eventualitäten zu zerpflücken. Mit dem Immigrationsthema auf dem Tisch waren die Risiken höher als seit Jahren; und das Verhalten von Mangala wie das eines aufgestörten Ameisenhaufens bewies es. Das Ergebnis der Wahl für den nächsten Exekutivrat war noch sehr zweifelhaft; und es gab Gerüchte, nach denen Jackie sich gegen Herausforderungen innerhalb der Partei zur Wehr setzen mußte.
Maya schaltete ihren Schirm ab und dachte scharf nach. Sie rief Athos an, der überrascht schien, sie zu sehen, und dann rasch höflich wurde. Er war von den Städten der Nepenthes-Bucht zum Repräsentanten gewählt worden und arbeitete bei Mangala hart für die Grünen, die einen recht starken Auftritt gehabt hatten und eine solide Gruppe von
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