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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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an Deutlichkeit und war schwer zu steuern. So vieles war dem Gehirn eingeprägt, wurde aber nie hervorgeholt. Und wenn man sich niemals an ein Muster erinnerte, es nie wieder hervorholte und probte, dann erfuhr es nie die Verstärkung eines neuerlichen Durchlaufs. Und nach ungefähr 150 Jahren der Speicherung verfiel das Muster, offenbar infolge der angehäuften Quanteneffekte freier Radikale, die sich zufallsweise im Gehirn zusammenfanden, immer schneller. Das war es anscheinend, was den Alten passierte. Ein Prozeß des Zusammenbruchs, der unmittelbar nach einen Ereignis einsetzte, wurde dem Gehirn eingeprägt und erreichte schließlich ein Höchstmaß, wo die Effekte für die beteiligten Schwingungsmuster katastrophal wurden und damit auch für die Erinnerungen. Das war vermutlich ebenso zeitgebunden, dachte Sax beklommen, wie die thermodynamische Trübung der Augenlinse.
    Wenn man allerdings all seine Erinnerungen Revue passieren lassen könnte, dann würde das die Muster wieder verstärken, sie auffrischen und die Uhr für den Verfall sozusagen wieder auf Null stellen. Eine Art Langlebigkeitsbehandlung für Dimerenmuster, in der Literatur manchmal als Anamnese oder Verlust durch Vergessen bezeichnet. Nach einer solchen Behandlung würde es leichter sein, sich an ein bestimmtes Ereignis zu erinnern, oder mindestens ebenso leicht, wie es kurz nach dem Eintreten des Ereignisses gewesen war. Das war die allgemeine derzeitige Richtung der Arbeiten über die Verstärkung des Gedächtnisses. Manche bezeichneten die dabei benutzten Drogen und elektrischen Maßnahmen als Nootrope, ein Wort, das Sax als >auf den Verstand wirkend< deutete. Eine Menge Fachausdrücke wurden für den Prozeß in der gängigen Literatur gehandelt. Die Leute durchwühlten ihre griechischen und lateinischen Lexika in der Hoffnung, einen Namen für das Phänomen zu finden. Sax hatte Ausdrücke gesehen wie: Mnemonik, Mnemonistik und Mnemosynik nach der Göttin des Gedächtnisses; auch Mimneskesie von dem griechischen Wort für >sich erinnenv. Sax zog das Wort Erinnerungsverstärker vor, obwohl er auch Anamnese mochte, welches ihm der genaueste Ausdruck für ihr Vorhaben zu sein schien. Sein Wunsch war die Herstellung eines Anamnestikums.
    Aber die praktischen Schwierigkeiten der Ekphorisierung oder des sich Erinnerns an eine vollständige Vergangenheit waren groß. Es galt ja nicht bloß, ein Anamnestikums zu finden, sondern auch der Zeit, die es erfordern würde! Wenn man zwei Jahrhunderte gelebt hatte, erschien es möglich, daß es Jahre dauern könnte, um alle relevanten Ereignisse dieses langen Lebens wieder hervorzuholen.
    Offenbar war ein rein chronologischer Durchlauf in mehrfacher Hinsicht nicht praktikabel. Vorzuziehen war eine Art von simultaner Erregung des Systems, die das ganze Netzwerk kräftigte ohne bewußte Erinnerung an jede seiner Komponenten. Ob eine solche Kräftigung elektromechanisch möglich war, wußte niemand. Aber wenn man den Durchgang zum Hippocampus elektrisch stimulieren und beispielsweise eine große Menge Adenosin-Triphosphat über die Blut-Gehirn-Schranke transportieren könnte und damit die langfristige Voraussetzung schuf, die an erster Stelle das Lernen unterstützte; und dann ein Gehirnwellenmuster zur Anregung und Unterstützung der Quantenschwingungen der Mikroröhrchen dazuschaltete und danach das Bewußtsein auf die einem am wichtigsten scheinenden Erinnerungen richtete, während auch der Rest unbewußt verstärkt würde...
    Sax machte sich noch weiter stürmische Gedanken in dieser Richtung, erlitt aber jäh Schiffbruch. Da saß er nun Ergebnislos im Wo hnzimm er seines Apartments und machte sich selbst Vorwürfe, daß er nicht wenigstens versuchte, seinem Computer etwas einzugeben. Es schien, daß er auf dem Weg gewesen war zu etwas wie ATP, oder war es LTP? Na schön, das war ein echt nützlicher Gedanke, der wiederkommen würde. Daran mußte er glauben. Es lag nahe.
    Je mehr er über diese Dinge nachdachte, kam es ihm auch immer wahrscheinlicher vor, daß der Schock über Mayas momentane Amnesie Michel in den raschen Verfall getrieben hatte. Nicht, daß eine solche Erklärung jemals bewiesen werden könnte oder auch wirklich eine Rolle spielte. Aber Michel hätte weder seine noch ihre Erinnerungen überleben wollen. Er hatte sie geliebt als das Projekt seines Lebens, die Definition seiner selbst. Der Schock, daß Maya bei etwas so Fundamentalem und so Wichtigem ausfiel (wie dem Schlüssel zur

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