Marschfeuer - Kriminalroman
aus Ihren Festnetzanschluss gewählt hat. Das haben Sie bei Ihrer
Vernehmung nicht erwähnt, Herr Lindmeir.«
»Nein?« Er griff nach
dem Montblanc-Kugelschreiber auf seiner ledernen Schreibtischunterlage.
»Vermutlich, weil mich niemand danach gefragt hat.«
»Das ist durchaus
möglich, da mein Kollege Wolff zum Zeitpunkt der Vernehmung die Daten noch
nicht hatte. Aber jetzt wissen wir, dass Herr Jacobsen sich am Dienstagmorgen
in großer Erregung befunden hat, und da ist es natürlich für uns sehr
interessant zu hören, welcher Art das Gespräch mit Ihnen am Vorabend war.«
Paul Lindmeir trank
einen Schluck Kaffee. »Hinrich hat mir von dem Gespräch mit den Christhagens
berichtet«, sagte er, nachdem er die Tasse wieder abgesetzt hatte. »Er hat mich
immer von seinen Geschäftsreisen angerufen, um das aktuelle Tagesgeschehen zu
diskutieren.«
»Und er hat nichts
erwähnt, was irgendwie seine Erregtheit erklären könnte?«
»Nein, es war ein ganz
normales Gespräch. Wie immer.«
Lyn sah von ihrem Notizblock
auf. »Merkwürdig bleibt es. Sie waren doch sein Vertrauter. Wenn schon nicht
seiner Frau, wem sonst als Ihnen hätte er, was auch immer ihn beschäftigte,
sagen sollen?«
»Wenn er etwas zu sagen
gehabt hätte, hätte er es mir mitgeteilt, aber ich habe bei seinem Anruf nichts
Merkwürdiges festgestellt. Ich kann Ihnen nicht helfen, Frau Harms.« Er blickte
auf seine Armbanduhr. »Haben Sie noch mehr Fragen? Ansonsten … Morgen ist die
Beerdigung, und die Jacht steht kurz davor auszulaufen. Die Bürokratie erschlägt
mich, und ich habe auch noch eine Betriebsversammlung vorzubereiten. Die Leute
haben ein Recht darauf zu erfahren, wie es mit der Werft weitergeht.«
»Wie geht es denn
weiter?«
»Ich werde die Werft in
Hinrich Jacobsens Sinne weiterführen. Wir waren immer einer Meinung. Bis auf
Kleinigkeiten natürlich.«
»Zum Beispiel in Bezug
auf die Ausbildung von Frauen in Männerberufen?«
Seine Augenbraue ging
nach oben.
»Für Hinrich Jacobsen
gehörten Frauen doch in die Küche«, sagte Lyn, »jedenfalls hört man das im Dorf.«
»Sie haben Ihre
Hausaufgaben gemacht, Frau Harms. Er war ein konservativer Mann.« Paul Lindmeir
schob seine Kaffeetasse von sich und stand auf. »Wenn Sie noch Fragen haben:
Ich stehe gern zur Verfügung, doch heute …« Er tippte auf seine Armbanduhr.
»Ich verstehe.« Lyn
trank ihren Kaffee aus und erhob sich ebenfalls. Mit ihrem Kugelschreiber
tippte sie auf ihren Block. »Eines müssen Sie mir noch erklären. Sie haben eben
gesagt, dass Hinrich Jacobsen Sie auf seinen Geschäftsreisen immer anrief, um
vom Tagesgeschehen zu berichten. Nach dem Montagabend hat er Sie aber nicht mehr
angerufen. Er hat Ihnen nichts von den Gesprächen mit den Holländern
mitgeteilt. Weder am Dienstag noch am Mittwoch.«
Paul Lindmeirs Augen
leuchteten blau und für einen Moment, wie Lyn glaubte, wachsam aus seinem
blassen Gesicht. Er stand auf und ging zur Tür. »Wir hatten bei dem Gespräch am
Montagabend vereinbart, dass er mir Donnerstag alles berichtet, an unserem
Schachabend. Bei einer Zigarre spricht es sich doch viel entspannter.«
Lyn stopfte den Block in
ihre Tasche. »Wenn das so ist … Auf Wiedersehen, Herr Lindmeir.«
***
Nachdem Paul Lindmeir
die Tür hinter Lyn geschlossen hatte, trat er an das Fenster und starrte zur
Jacht. Die Probefahrten waren zur größten Zufriedenheit verlaufen. Tränen
traten ihm in die Augen, als er das silberweiße Schiff, das Prunkstück seiner
Laufbahn, betrachtete. Die »a rainha« lag jetzt nicht mehr im Dock, sondern in
der Stör, bereit zur Abfahrt.
Eine Gruppe Arbeiter,
auf dem Weg zum Dock, holte ihn aus seinen Gedanken. Er erkannte Markus unter
ihnen und atmete tief ein und aus. Die Männer lachten laut.
Paul Lindmeir lächelte.
Wahrscheinlich hatte Markus einen seiner Witze erzählt. Er war ein guter
Witzeerzähler. Und er war ein guter Junge. Er konnte nichts dafür, dass das
Leben nicht gerecht war.
Er ging zu seinem
Schreibtisch und drückte den Knopf der Gegensprechanlage. »Frau Drochtersen,
bitte kommen Sie zu mir rein.«
Als die Sekretärin sein
Büro betrat, sagte er: »Suchen Sie mir bitte die Faxnummer vom Büro des
Brasilianers heraus. Und dann canceln Sie alle meine Termine ab dem Tag, an dem
die Jacht ausläuft.«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Wollen Sie jetzt doch die Jungfernfahrt nach Salvador da Bahia antreten?«
»Es kann für die Werft
nur von Vorteil sein, wenn wir zufriedene, hoch liquide Kunden
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